— 1960
dem Unternehmen sehr hold; denn es erhob sich ein sanfter Ostwind, der
fast ohne Unterbrechung bis zum Ende der Fahrt anhielt. Bald war alles
Land aus den Augen verschwunden, pfeilschnell flogen die Schiffe über den
unendlichen Ocean dahin einem Ziele zu, das Niemand kannte, und es war
kein Wunder, daß auch den Beherztesten auf dem weiten, wüsten Meere
bange wurde. Indessen flößte Columbus durch seine Ruhe und gute Zu—
versicht den Zagenden immer wieder neuen Muth ein, Tag und Nacht stand
er unermüdet mit Senkblei und Beobachtungsinstrumenten auf dem Verdecke,
die Traurigen ermunternd, die Murrenden bedrohend und über Aller Ge—
muͤther eine große Herrschaft ausübend. Am 1. Oktober waren sie schon
707 Seemeilen von ihrer Heimath entfernt und ihre Angst wuchs von
Stunde zu Stunde. Zwar zeigte sich hin und wieder ein Hoffnungsstrahl:
Schwärme von Seevögeln setzten sich auf die Masten der Schiffe und große,
grüne, mit dichtem Meergrase bewachsene Flächen erweckten die Hoffnung
aäuf ein nahes Land; aber Seegras und Seevögel waren bald wieder ver—
schwunden, und die Armen sahen sich von Neuem auf dem weiten öden
Oceane allein. Was sollte aus ihnen werden, wenn die Vorräthe zu Ende
gingen und auf den gebrechlichen Fahrzeugen die Rückkehr unmöglich wurde?
Solche Gedanken der Furcht verbreitelen sich mit ansteckender Gewalt auf
die Gemüther der Mannschaft und bereiteten ihrem Führer und seinem Un—
ternehmen die höchste Gefahr. Sie wollten den Admiral zur Umkehr zwin⸗
gen, und Einige faßten sogar den verruchten Gedanken, ihn im Falle der
Weigerung über Bord zu werfen. Zwar stellte Columbus auf einige Tage
das Vertrauen wieder her und erklärle den Murrenden mit kaltblütiger Ent⸗
schlossenheit, daß er von seinem Unternehmen nicht abstehen würde, bis er
mit Gottes Hülfe Indien gefunden hätte; aber wer weiß, zu welchem schreck—
lichen Ausgange zuletzt die Verzweiflung geführt hätte, wenn sich nicht zum
Glück am folgenden Tage bestimmtere Spuren von der Nähe eines Landes
gezeigt hätten. Rohr und ein Baumast mit rothen Beeren schwammen auf sie
zu, und sogar einen künstlich geschnitzten Stab fischten sie auf. Eben war die
Sonne des 11. Oktober untergegangen, und Columbus, von freudiger Ahnung
durchdrungen, befahl sorgfältig Wache zu halten, um nicht etwa die Nacht
auf Klippen zu stoßen. Dem, welcher zuerst Land erblicken würde, versprach
er eine große Belohnung. Auf allen Schiffen herrschte die größte Auf⸗
regung, kein Auge schloß sich. Zwei Stunden vor Mitternacht erblickte Co⸗
lumbus in der Ferne den Schimmer eines Lichtes und hielt dies für ein
sicheres Zeichen von der Nähe des heiß ersehnten Landes. Und sein Glaube
läuschte ihn nicht; denn wirklich erscholl um 2 Uhr des Morgens (am 12.
Oltober, einem Freitage) von der Pinta, einem der beiden andern Schiffe,
ein Kanonenschuß und verkündete, daß man Land gesehen. „Land! Land!
ertönte es freudig aus jeder Brust. Weinend vor Freude stürzte man
einander in die Ärme und sank zu den Füßen des hochherzigen Führers,
um ihn um Vergebung zu bitten. Nach dem ersten Rausche der Freude
exinnerte man sich seiner höhern Pflicht und stimmte mit innigster Andacht
das Te Deum (Herr Gott, dich loben wir) an. Als die Sonne aufging,
sahen sie eine schöne grüne Insel vor ihren entzückten Augen liegen. So
ward Amerika entdeckt! —
Mit Tagesanbruch bestieg der Admiral in einem reichen Kleide und
den bloßen Degen in der einen, die Fahne Castiliens in der andern Hand,