Full text: Lesebuch für gewerbliche Fortbildungsschulen

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Der Geizige kann, aber er will es selten; der Verschwender 
möchte oft, aber er kann nicht mehr. 
Der eine macht sich Feinde, der andere erwirbt Freunde, die 
schlimmer sind als ein Feind. 
Jenen peinigt der Wunsch, immer weiter zu kommen; diesen 
die Reue, daß er schon so weit gekommen ist. 
Geiz ist die Wurzel alles Übels; Verschwendung ist ein 
Baum voll bitterer Früchte. 
Den Geizigen verzehrt die Sorge, den Verschwender die Aus¬ 
schweifung. Jenen lohnt am Ende die Furcht, diesen der Kummer. 
Nicht selten wird der jugendliche Verschwender noch ein gei¬ 
ziger Greis. 
Nicht selten kommt das Vermögen geiziger Sammler an ver¬ 
schwenderische und im eigentlichen Sinne lachende Erben. 
I. P. Hebel. 
63. Das Gewerbe. 
Zu Frankfurt a. M. ist alljährlich ein großer Ledermarkt, den 
die Schuhmacher der Stadt und der ganzen Umgegend besuchen, 
um ihren Lederbedarf zu decken. Denn um Schuhe zu machen, 
muß man Leder haben, und wo könnte man das besser einkaufen, 
als auf dem großen Markt, wo die Menge der ausgelegten Waren 
die Auswahl erleichtert! Nicht alle Schuster brauchen dasselbe 
Leder, das richtet sich nach ihrer Kundschaft. Auf dem Lande 
trägt man stärkere Schuhe als in der Stadt, und auch in der 
Stadt gibt es Schuster, die viel Lack- und Glaceleder verarbeiten 
und wieder andere, die nach solchem wenig Bedarf haben. Es 
kommt hinzu, daß auf solch einem Markt ein munteres Treiben 
ist; man spricht mit diesem und jenem, den man lange nicht ge¬ 
sehen und schaut sich nebenher die ausgelegten Waren an, bei 
denen es von Jahr zu Jahr so manche Veränderung zum Guten 
wie zum Schlechten zu beobachten gibt. So kommt mancher auf 
den Markt, der gar nicht kaufen will, weil er seinen Bedarf bei 
seinem Lederhändler in der Stadt deckt; er will aber sehen, was 
es in neuer Ware gibt, um sich von den Preisen zu überzeugen 
und nachzuforschen, ob sein Händler auch immer gutes Lager führt. 
Denn ein Gewerbetreibender muß immer genau aufpassen, wenn 
er seinen Verdienst finden will; ein jeder geht auf Gewinn aus, 
und es ist nicht gut, sich ganz und gar auf einen andern zu verlassen. 
„Was wollen Sie denn hier?" sagte der Schuster Gottfried 
zu dem vorübergehenden Gastwirt Hein, der sich auch an den 
Bänken und Tischen zu schaffen machte; „Sie haben wohl ihre 
Wirrschaft verkauft und sind Schuster geworden?"
	        
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