Full text: Lesebuch für gewerbliche Fortbildungsschulen

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Zu Anfang des Jahres 1869 begann die Negierung des nord¬ 
deutschen Bundes mit den diplomatischen Einleitungen zur Berufung 
eines internationalen Kongresses, dessen Aufgabe die weitere Ver¬ 
folgung des Plans einer allgemeinen Postunion bilden sollte. Wieder 
vereitelte aber der Ausbruch des Krieges zwischen Deutschland und 
Frankreich die Inangriffnahme des Reformwerkes, und erst im Juni 
1873 sah sich der Generalpostmeister Stephan veranlaßt, bei dem 
Fürsten Bismarck den Antrag auf Abhaltung einer Postkonferenz 
zu stellen. Als Versammlungsort wurde, im Einverständnis mit 
dem schweizerischen Bundesrat, die wegen ihrer zentralen Lage hierzu 
sich besonders eignende Bundeshauptstadt der Schweiz bestimmt. 
Noch einmal verfloß ein Jahr, bis die Zustimmungsformalitäten 
durch die eingeladenen Regierungen erfüllt waren. 
Endlich, am 15. September 1874, wurde der Kongreß in dem 
Saale des alten, geschichtlich denkwürdigen Ständehauses zu Bern 
eröffnet. In demselben Saale, in dem fünfundzwanzig Jahre zuvor 
(1849) die zmeiundzwanzig eidgenössischen Kantone sich nach harten 
Kämpfen in Sachen des Postwesens geeinigt hatten, traten nunmehr 
die Bevollmächtigten von zmeiundzwanzig Staaten beider Erdhälften 
zum Zweck der Gründung einer großen allgemeinen Postvereinigung 
zusammen. Das Präsidium des Kongresses wurde dem Vorstand 
des schweizerischen Postdepartements, Bundesrat Borel, übertragen. 
Zum Vorsitzenden der Kommission, die den von Deutschland vor¬ 
gelegten Entwurf zum allgemeinen Postvereinsvertrag vorbereitend 
beraten sollte, wurde der erste Delegierte Deutschlands, General¬ 
postmeister Stephan, gewählt. 
Daß der Kongreß seine schwierigen Verhandlungen schon nach 
Ablauf von drei Wochen, nämlich am 9. Oktober 1874, durch Unter¬ 
zeichnung des allgemeinen Postvereinsvertrags zum Abschluß bringen 
und die oben genannten Staaten (mit einem Gebiet von 37 Millionen 
Quadratkilometern und 350 Millionen Einwohnern) zu dem „Allge¬ 
meinen Postverein" zusammenschließen konnte, ist eine in der Geschichte 
der Verträge, namentlich der Postverträge, einzig dastehende Tatsache. 
Innerhalb des Gesamtgebiets des Allgemeinen' Postvereins 
wurde sodann, um die Hauptsache kurz hervorzuheben, das Porto 
auf 20 Pfg. für frankierte Briefe (je 15 Gramm), 10 Pfg. für 
Postkarten und 5 Pfg. für je 50 Gramm bei Drucksachen und 
Warenproben festgesetzt. 
Ilnvergessen soll es bleiben, daß ein deutscher Mann, der 
mehrerwähnte, vor Jahren als Staatssekretär des deutschen Reichs¬ 
postamts gestorbene E)i\ v. Stephan den Anstoß zu der einzigartigen 
Schöpfung gegeben hat, deren Interessen er sodann während eines 
Zeitraums von mehr als zwei Jahrzehnten nach allen Seiten hin zu 
fördern eifrigst bestrebt gewesen ist. Nach Bacmeister.
	        
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