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der Mitte Europas hatte die führende Stellung Frankreichs bisher
beruht; daher das Aufflammen der nationalen Leidenschaft, wie es
nach dem Siege Preußens 1866 in dem Rufe „Revanche für Sadowa"
zum Ausdruck kam. Napoleon, dem die militärische Kraft Preußens
nicht entging, hätte wohl gerne durch unblutige Landerwerbungen
an der Ostgrenze den Ehrgeiz seines Volkes befriedigt; aber sein oft
wiederholtes Begehren nach solchen „Kompensationen" am Rhein
oder in Belgien wurde von Bismarck entweder „dilatorisch" be¬
handelt oder energisch zurückgewiesen. So blieb nur noch eines für
Frankreich übrig: im Bunde mit Österreich und mit den partiku-
laristischen süddeutschen Elementen Preußen an der Einigung Deutsch¬
lands, nötigenfalls mit Gewalt, zu verhindern.
So kain das Jahr 1870. Zur Erholung weilte der dreiund-
siebzigjährige Monarch seit dem Juni in Ems. Am 20. Juni hatte
der Prinz Leopold von Hohenzollern das Angebot der erledigten
spanischen Krone angenommen, am 6. Juli der neue französische
Minister des Auswärtigen, Gramont, von der öffentlichen Meinung ge¬
trieben, in drohenden Worten gegen diese Schädigung Frankreichs
durch Preußen protestiert, am 12. daher der Prinz auf Spanien ver¬
zichtet. Aber die Kriegspartei in Paris bewirkte, daß der Gesandte
Benedetti in Ems von dem preußischen König persönlich das Ver¬
sprechen erhalten sollte, niemals eine Bewerbung des Prinzen um
den spanischen Thron zu gestatten. Als der König am 13. diese
Zumutung ohne Schroffheit aber entschieden zurückgewiesen und Bis¬
marck die Emser Vorgänge veröffentlicht hatte, war der Krieg un¬
vermeidlich. Der greise Monarch aber gewahrte an dem Jubel seines
Volkes auf der Rückreise und in der Residenz, daß die Nation in
ihm den Hort ihrer Ehre, den Träger ihrer Hoffnungen sah.
And nun erhob sich Deutschland wie ein Mann. Die Süd¬
deutschen, auf deren Neutralität Napoleon hoffte, schlossen sich an
Preußen an, allen voran Bayerns edler König Ludwig II. Welch
ein Gegensatz: dort Frankreich voller Ruhm- und Rachbegier, über¬
eilt und schlecht gerüstet, hier das deutsche Volk freudig und ernst
in nie gekannter Eintracht und musterhafter Ordnung zu den Fahnen
eilend. Am 19. Juli erhielt Preußen die Kriegserklärung; am selben
Tage, dem Todestage der Königin Luise, ließ König Wilhelm das
Eiserne Kreuz in seiner ganzen Bedeutung wieder aufleben, nach¬
dem er an der Ruhestätte seiner Mutter in stiller Andacht gebetet
hatte. Am 31. ging er zur Armee ab mit einem Erlasse an sein
Volk, worin es heißt: „Herausgefordert, find wir entschlossen, gleich
unseren Vätern und in fester Zuversicht auf Gott den Kampf zu
bestehen zur Errettung des Vaterlandes."
Wie rasch die großen Ereignisse auf dem Kriegsschauplätze
folgen sollten, hat der König selbst nicht geahnt. Fünf glänzende