Full text: Lesebuch für gewerbliche Fortbildungsschulen

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zuhalten. Unvermittelt treten hier die schärfsten Gegensätze von 
Hitze und Kälte auf — ein ungemütlicher Aufenthaltsort für Erd¬ 
bewohner. 
Ein wohltätiger Zauber läßt uns Essen und Trinken, die 
regelmäßigen Bedürfnisse der Erdbewohner, vergessen und hält trotz¬ 
dem unsere Kräfte aufrecht. Noch einen Blick nach oben, von wo 
die Sonne immer noch mit unausstehlicher Glut auf unsern Scheitel 
brennt. Ein tiefschwarzer Himmel wölbt sich gleich einem unge¬ 
heuren Bahrtuch über der öden Mondlandschaft, und daran hängt 
das brennende Tagesgestirn, umgeben von einem glänzenden Sternen- 
heere. Aber es scheint sich nicht von seiner Stelle zu bewegen, erst 
nach Stunden ist ein schwaches Vorrücken auf seiner Bahn be¬ 
merkbar. Nicht schwinden hier die flüchtigen Tage, wie auf der 
ruhelosen Erde; majestätische Ruhe breitet sich über dem Gebiete 
ewigen Todes aus, und mehr als vierzehn Erdentage währt hier 
die Herrschaft des Sonnenlichtes, um dann wieder einer ebenso 
langen, furchtbar kalten Nacht Platz zu machen. Welch großartiger 
Kreislauf trotz seiner Eintönigkeit. 
Eine volle Stunde hat es gedauert, bis der Sonnenball, 
nachdem sein Rand den Horizont berührt, gänzlich unter demselben 
verschwunden war. Nun aber folgte ohne Dämmerung sofort die 
dunkle Nacht. Doch nein, welches erhabene Schauspiel bietet sich 
plötzlich unseren Blicken dar! Am Himmel steht nicht sehr tief unter 
unserem Scheitelpunkt eine glänzende Scheibe, mehr als zehnmal 
so groß als unser Vollmond und in lieblichem bläulich-weißem 
Lichte erglänzend. Dunklere und hellere Flächen, sowie zwei blen¬ 
dend weiße Kappen an den Polen lassen uns sofort erkennen, daß 
es unsere Erde selbst ist. . . . 
Ehe wir von unserer unvergleichlichen Sternwarte Abschied 
nehmen, auf der wir bei einer Kälte, die das Quecksilber zum Ge¬ 
frieren bringt, eine lange Nacht von 14^2 Tagen zugebracht haben, 
versuchen wir uns noch Rechnung abzulegen über die wunderbaren 
Erscheinungen, deren stumme Zeugen wir gewesen sind. Oft haben 
wir während unserer Mondreise versucht, uns gegenseitig unsere 
Gedanken mitzuteilen. Vergebens, so laut wir auch zu schreien 
wähnten — das Wort schien auf unsern Lippen zu ersterben und 
kein Laut unterbrach die unheimliche Stille. Ob die sengende Hitze 
des Tages oder die grimmige Kälte der Nacht uns umgab — unser 
Mühen bleibt vergebens. Wir müssen zuletzt zur Zeichensprache 
unsere Zuflucht nehmen. Nun werden wir uns dessen bewußt, daß 
dem Monde die Lufthülle fehlt, und daß wir, würde uns nicht 
ein wohltätiger Zauber halten, keinen Augenblick hier leben könnten. 
Dieser Mangel an Luft gibt uns auch die Erklärung für das 
Fehlen des Morgen- und Abendrotes, für die große Klarheit ferner
	        
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