Full text: Lese-, Lehr- und Hilfsbuch für Gewerbeschulen

Das Kaltsalzbergiverk in Jessenitz bei Lübtheen i M. 
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welche unerschöpfliche Wassermengen in sich schließen und sich dadurch 
als schwimmendes Gebirge charakterisieren. Ebenso ist der Gips nach 
allen Richtungen hin von netzartig verzweigten, wasserführenden Klüf¬ 
ten, sogenannten Schlotten, durchzogen. Es bedurfte daher großer berg¬ 
männischer Findigkeit und Zähigkeit, tun aller Schwierigkeiten Herr 
zu werden, und die Schachtabteufung in Jessenitz ist in mancher Be¬ 
ziehung typisch für das Abteufen von Kalischächten geworden. 
In der oberen Teufe bis auf 80 m Tiefe durch die Sand-, Kies-, 
Ton- und Geröllschichten hindurch fand das sog. Gefrierverfahren An¬ 
wendung, eine Abbaumethode, welche bis dahin in dieser Tiefe und 
Ausdehnung noch nicht ausgeführt war. Es wurden in einem rireise 
von ca. 7 m Durchmesser 20 eiserne Rohre durch das schwimmende 
Gebirge hindurch, bis in den wasserfreien Gips hinein, eingesenkt und 
unten verschlossen. In diese Rohre wurde eine zweite engere, unten 
offene Röhrentour eingehängt, durch welche man eine auf 20 ° bis 22 ° 
unter Rull abgekühlte Chlormagnesiumlauge so lange einen Kreislauf 
machen ließ, bis die die Rohre umgebenden flüssigen Sandmassen zum 
Gefrieren gebracht und ein Frostzylinder von etwa 9 m Durchmesser 
und 77 m Tiefe hergestellt war. In dem gefrorenen Gebirge konnte 
dann ohne besondere Schwierigkeiten unter beständigem Umlauf der 
tief fasten Chlormagnesiumlauge wie irrt festen Gebirge abgeteuft und 
darauf ein wasserdichter eiserner Ausbau eingebracht werden. 
In dem nunmehr folgenden wasserfreien Gebirge wurde mit der 
Hand abgeteuft, bis man in einer Tiefe von etwa 130 m wieder auf 
wasserführende Gebirgsschichten stieß. Da es nicht gelang, selbst mit 
den leistungsfähigsten Wasserhaltungsmaschinen den Wasserandrang zu 
bewältigen, entschloß man sich, bei dem weiteren Schachtbau das Ab- 
bohrverfahren anzuwenden, wobei das Wasser nicht hinderlich ist. 
Mittels einer durch Dampf angetriebenen Bohrmaschine winde ein 
Bohrschacht von 5 m Durchmesser bis auf 310 m Tiefe in die Erde 
hineingetrieben und mit einem eisernen Zylinder im Innern ausgekleidet, 
durch welchen das Wasser völlig abgesperrt wurde. Nachdem man dann 
im Steinsalze den Schacht bis auf 600—700 m Tiefe in gewöhnlicher 
Weise mit der Hand niedergebracht hatte, war der Schachtbau voll¬ 
endet. Am 18. Oktober 1900 wurde der Schacht in Gegenwart des 
Herzog-Regenten Johann Albrecht feierlich eingeweiht und „Herzog- 
Regent-Schacht" getauft. 
Vom Schachte aus führen nun horizontale Gänge bis an das 
Kalilager. Seitlich von diesen Strecken sind Abbaue angelegt, große, 
gewölbeartige Höhlungen von etwa 25 m Länge, 20 m Breite und 
12 m Höhe. Das in diesen Höhlungen gebrochene Salz wird auf eiserne, 
auf Schienen laufende Wagen geladen und zum Schachte befördert, 
wo man die Wagen aus im Schachte hängende eiserne Gestelle schiebt, 
die mittels einer Dampfmaschine von 1200 Pferdekräften mit einer Ge¬ 
schwindigkeit von 12 m in der Sekunde aufgewunden werden. Eine 
175 m lange Kettenbahn bringt die geförderten Salze entweder in die 
Rohsalzmühlen oder in die mit dem Werke verbundene chemische Fabrik. 
Etwa der fünfte Teil der Rohfalze wird als sog. „Düngesalze" direkt 
in der Landwirtschaft verbraucht und zu dem Zwecke in den Mühlen 
zerkleinert; alles übrige kommt in die chemische Fabrik. Die gewönne-
	        
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