Full text: Lesebuch nebst fachkundlichen Anhängen für Fortbildungs-, Fach- und Gewerbeschulen

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in fremden Ärmeln wegzusehen, war alle Welt mit mir zufrieden, 
ivie ich mit aller Welt. — So hatte ich beständig Freunde, be¬ 
ständig Beistand, Zutrauen, Geschäfte. Gott gab Segen. Der 
Segen liegt im Rechttun und Rechtdenken, wie im Nußkem der 
fruchttragende, hohe Baum. — So wuchs mein Vermögen. „ Wozu 
denn?“ fragte ich; „du brauchst ja nicht den zwanzigsten Teil 
davon.* — Prunk damit treiben vor den Leuten? — Das ist 
Torheit. Soll ich in meinen alten Tagen noch ein Loch im Ärmel 
auf weisen? — Hilf anderen, wie dir Gott durch andre geholfen. 
Dabei bleibt?s. Das höchste Gut, das der Reichtum gewährt, Dt 
zuletzt Unabhängigkeit von den Launen der Leute und ein großer 
Wirkungskreis. — Jetzt, Konrad, gehe auf die hohe Schule, lerne 
etwas Rechtes; denke an den Mann mit der weißen Perücke; hüte 
dich vor dem ersten kleinen Loch im Ärmel; mach’s nicht, wie 
mein Kamerad Albrecht! h. zschokke. 
15. Karl Krause. 
Vor dreiundsechzig Jahren wanderte in Leipzigs Mauern ein 
junger Bauernbursche ein, der nichts sein eigen nannte als seine 
gesunden Glieder, sein reines Gemüt und den guten Willen, 
seinem künftigen Brotherrn treu zu dienen. Dies waren alle seine 
Schätze, die nur ergänzt wurden durch ein Bündel kleiner Habselig¬ 
keiten, das ihn aber recht wenig zu drücken schien. Kaum vierzehn 
Lenze zählend, hatte er sein friedliches Heimatdörfchen verlassen und 
wollte nun sein Glück in der Stadt versuchen. Gar klein sollte der 
Anfang der neuen Laufbahn sein; denn Karl Krause, so heißt der 
Held unserer Erzählung, wollte Laufbursche bei Wilhelm Felsche in 
Leipzig werden. Noch wußte er selbst nicht, welche Kräfte in seiner 
Seele schlummerten und daß die Anregungen des großstädtischen 
Lebens seiner Geisteskraft einst die Schwingen geben würden, sich 
auf der Menschheit Höhen emporzuheben. Vielmehr schien ihm das 
Los, in so früher Jugend das Vaterhaus verlassen zu müssen, eine 
harte Prüfung des Schicksals zu sein; denn bis jetzt hatte er ein 
recht ungebundenes Leben in der Freiheit der ländlichen Verhältnisse 
führen können. 
Seine Wiege stand in Liemehna, einem anmutigen Dörfchen 
zwischen Eilenburg und Halle. Seine Eltern waren brave Landleute, 
die gar fleißig ihre Hände rührten, da nicht weniger als elf 
Sprößlinge im Hause nach Brot verlangten. Darum mußten früh- 
zeitig alle Kinder auf Feld und Wiese, in Haus und Hof, in Stall 
und Scheune tapfer mit zugreifen und den Lebensunterhalt verdienen 
helfen. Auch Karl lernte auf diese Weise schon im jugendlichsten 
Alter den hohen Wert der Arbeit kennen und stählte seine Körper¬ 
kraft durch harte Übung an landwirtschaftlichen Geräten. Ein neues 
Leben begann mit der Schulzeit. Obwohl der alte Lehrer Eckert 
Lesebuch f. Fortbildungsschulen rc. Allg. Teil. 2
	        
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