Full text: Lesebuch nebst fachkundlichen Anhängen für Fortbildungs-, Fach- und Gewerbeschulen

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Die Stunde lag auf uns wie ein schwerer Stein. 
Endlich richtete sich die Häuslerin — die Witwe — auf, trocknete 
ihre Tränen und legte zwei Finger auf die Augen des Toten. 
Die Wachskerze brannte, bis die Morgenröte aufging. 
Durch den Wald war ein Bote gegangen. Dann kam ein Holz¬ 
arbeiter. Der besprengte den Toten mit Weihwasser und murmelte: „So 
rücken sie ein, einer nach dem andern." 
Dann taten sie dem Meisensepp festtägige Kleider an, trugen ihn 
hinaus in die Vorlauben und legten ihn auf das Brett. — 
Das Buch ließ ich liegen auf dem Tisch für die Leichenwachen 
der nächsten Nächte, zu denen ich der Häuslerin das Lesen zugesagt hatte. 
Als ich fortgehen wollte, kam sie mit einem grünen Hut, auf welchem ein 
weit ausgeborstcter Gemsbart stak. 
„Willst den Hut mitnehmen für deinen Vater?" fragte sie, „der 
Seppel hat deinen Vater forlweg gern gehabt. Den Gamsbart magst 
zum Andenken selber behalten. Bet' einmal ein Vaterunser dafür." 
Ich sagte meinen Dank, ich tat noch einen unsteten Blick gegen die 
Bahre hin; der Sepp lag langgestreckt und hielt seine Hände über der 
Brust gefaltet. — Dann ging ich hinaus und abwärts durch den Wald. — 
Wie war's licht und taufrisch, voll Vogclgesaug, voll Blütenduft — voll 
Leben im Walde! 
Und in der Hütte, auf dem Bahrbett lag ein toter Mensch. 
Ich kann die Nacht auf den Morgen — das Sterben mitten in dem 
unendlichen Lebensquell des Waldes nimmermehr vergessen. Auch besitze 
ich heute noch den Gemsbart zum Andenken an den Mcisensepp. 
Wenn mich die Gier anpackt nach den Freuden der Welt, oder wenn 
mich die Zweifel überkommen an der Menschhett Gottesgnadentum, oder 
wenn mich gar die Angst will quälen vor meinem vielleicht noch fernen, 
vielleicht schon nahen Hingang — so stecke ich den Gemsbart des Sepp 
auf den Hut. Peter Rosegger. 
Immer strebe zum Ganzen, und kannst du selber kein Ganzes bilden, 
als dienendes Glied schließ an ein Ganzes dich an. 
Irr öex emexnbc, 
Iie politische Gemeinde. 
Schiller. 
109. Das Lied von der Glocke. 
IV. 
Bis die Glocke sich verkühlet, 
laßt die strenge Arbeit ruhnl 
wie im taub der Vogel spielet, 
mag sich jeder gütlich tun. 
winkt der Sterne Licht, 
ledig aller Pflicht 
hört der Bursch die Vesper schlagen; 
Meister muß sich immer plagen. 
Munter fördert seine Schritte 
fern im wilden Forst der waridrer 
nach der lieben Seimathütte,
	        
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