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Kaiser wußte wohl, daß polizeiliche Maßregeln allein nicht imstande wären,
die offenbar gewordenen Schäden gründlich zn heilen, sondern daß es vor
allen: darauf ankomme, die religiöse Erziehung der heranwachsenden Jugend
zu stärken und zu pflegen. Zugleich erkannte er mit klaren Blicken die
dringende Notwendigkeit, auf den: Wege der Gesetzgebung die berechtigten
Forderungen der sozialen Bewegungen zu befriedigen. Daher erklärte er in
einer Botschaft an den Reichstag es für seine Pflicht, kräftige Maßregeln
zu treffen, um die bedrängte Lage der Arbeiter zu verbessern. Und als der
Reichstag die Erledigung der Sozialgesetze von Sitzung zu Sitzung hinauszog,
richtete er eine neue Botschaft an denselben, :n welcher er betonte, daß er
kein in seiner Macht stehendes Mittel versäumen wolle, um die Besserung
der Lage der Arbeiter und den Frieden der Berufsklassen untereinander zu
fördern, so lauge Gott ihn: Frist gebe zu wirken.
Bald gelang es der Regierung mit den: Reichstage für die Arbeiter die
Einrichtung einer Versicherung gegen Not durch Krankheit oder Unfälle zu
vereinbaren, deren Kosten zum größeren Teile die Arbeitgeber, zun: kleineren
die Arbeitnehmer zu tragen hatten. 1883 am 15. Juni kam auf dieser
Grundlage das „Arbeiter-Krankenversicherungsgesetz", 1884 die Versicherung
gegen die Folgen gewerblicher Unfälle, das „Arbeiter-Unfallversicherungsgesetz"
zustande. Die Unfall- und Krankenversicherung unifaßte zunächst etwa
4 Millionen industrieller, sowie im Baugewerbe und in Beförderungs- und
Versaudbetriebeu beschäftigter Arbeiter; später, im Jahre 1886 wurden sie
erweitert auf die in land- und forstwirtschaftlichen Betrieben beschäftigten
Arbeiter, und dann wurde noch etwa 7 Millionen Arbeitern die Wohlthat
der Versicherung zu teil. Seit 1887 erfreuen sich auch die Seeleute der
Segnungen der Unfallversicherung.
Gegen Not durch Erkrankung und durch Uiffälle war nun der Arbeiter
gesichert, es blieb also noch übrig, ihn in: Alter zu versorgen, eine Alters¬
und Jnvaliditätsversicherung einzurichten. Die Vollendung der hierzu erforder¬
lichen schwierigen Vorarbeiten hat Kaiser Wilhelm noch erlebt, aber erst
unter seinen: Enkel kan: an: 22. Juni 1889 das Juvaliditäts- und Alters¬
versicherungsgesetz zustande, welches an: 1. Januar 1891 in Kraft getreten ist.
Die Invaliden- und Altersversicherung ist eine auf Gegenseitigkeit
gegründete Versicherungsanstalt, in welcher jedoch nicht — wie bei den
übrigen Versicherungsanstalten — die sämtlichen Kosten von den Versicherten
(den Arbeitern) zu tragen sind, sondern höchstens ein Drittel derselben,
während das zweite Drittel von den: Arbeitgeber, das letzte von: Reich über¬
nommen wird. Dabei leisten die staatlichen Behörden und die Reichspost
noch den größten Teil der Verwaltungsarbeiten unentgeltlich, so daß die
Geschäftsunkosten sich auf das geringste Maß berechnen. Alles nun, was
diese unter der: günstigsten Verhältnissen wirkende Versicherungsanstalt zu
leisten verinag, was sie einnimmt, was sie erspart, konnnt den Versicherten
zu gute. Den deutschen Arbeitern soll hierdurch, soweit sie durch Krankheit,
Gebrechen, Abuahine der Kräfte u. s. w. erwerbsunfähig werden, sodaß sie
nicht nrehr ein Drittel ihres früheren Lohnes verdienen können, ii: erster
Linie eine „Invalidenrente" gewährt werden. Denen jedoch, welche das
Glück haben, in: 70. Jahre noch erwerbsfähig zu sein, soll unter der
Bezeichnung „Altersrente" ein fester Zuschuß gewährt werden, der es ihnen
ermöglicht, ihre Kräfte zu schonen und sich eine angenehme Stellung in ihren
alten Tagen zu sichern.