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ganz vertieft beim Lesen eines Briefes war. Dem Fürsten entging diese
Pflichtwidrigkeit nicht. Als der Soldat den Tritt des Rosses hörte und
nun den Feldherrn sah, ließ er vor Schreck und Entsetzen seinen Brief
fallen, nahm schnell sein Gewehr hoch und präsentierte.
Der Kaiser winkte ab und ritt dicht an den Posten heran. „Nun,
mein Sohn," sagte er leutselig und zeigte lächelnd auf den Brief, während
der Soldat erwartete, alle Donner des Gerichtes würden nun erschallen,
„der Brief dort ist gewiß von der Braut in der Heimat?"
„Nein," antwortete ernst der Soldat, „er ist von meiner Mutter."
„Darf ich ii)ii lesen?" fragte der Kaiser und sah dem Posten
prüfend ins Auge.
„Gewiß!" antwortete der Soldat, langte den Brief vom Erdboden
auf und reichte ihn offen dem Feldherrn dar. Dieser nahm den Brief,
las ihn und befahl dann kurz seinem Adjutanten, den Namen des Füsi¬
liers zu notieren, grüßte und ritt dann weiter.
Der Brief war wirklich von der Mutter. Sie zeigte dem Sohne
an, daß binnen kurzem seine geliebte Schwester Hochzeit habe, und daß
es für alle daheim doch recht traurig sei, daß er, nach dem Tode des Vaters
das überhaupt der Familie, bei diesem Feste fehlen müsse. Die Schwester
habe große Sehnsucht nach ihm.
Am andern Tage, als er abgelöst war, wurde er zum Hauptmann
beschieden. Ihm schlug das Herz gewaltig. „Nun geht's los!" dachte er.
„Acht Tage Arrest giebt's sicher. — Arme Schwester!"
Wie atmete er aus, als ihm sein Hauptmann mitteilte, er habe auf
Befehl des Kaisers vierzehn Tage Urlaub, um die Hochzeit der Schwester
zu feiern, und es sei ihm freie Hin- und Rückfahrt gewährt. Es läßt sich
ermessen, wie dieser Soldat seitdem feinen Kaiser liebt, und wie man in
seiner.Familie in Dankbarkeit des milden Fürsten gedenkt.
304. An das befreite Straßbnrg.
Otto Müller von der Werra.
1. D Straßbnrg, du feine,
Tn wunderschöne Stadt,
Tu Perle an dem Rheine,
Die schwer gelitten hat!
Du wardst nach schnödem Railbe,
Nach langer Schmach befreit.
Deutsch war von je dein Glaube,
Deutsch deine Herrlichkeit.
2. O Straßbnrg, du seine,
Du wunderschöne Stadt,
Du Rose an dem Rheine,
Die viel geblutet hat!
Du bist im deutschen Kranze
Erblüht zu neuer Pracht;
Ans deiner alten Schanze
Steht fest die deutsche Wacht.