Amerika's. 
217 
wie er Schritt für Schritt weiter wandeln soll; das Ziel, nach dem er 
ringt, hat sein Auge niemals gesehen, nur eine dunkle Ahnung non 
demselben wohnt ihm bei, und doch steuert er muthvoll weiter. So 
segelt durch das Meer des Erdenlebens der gläubige Christ. Was er 
auch erblickt rings um sich, er hat hier keine bleibende Stätte, sondern 
suchet die zukünftige; jede Scholle, auf der er steht, kann ihm zum 
Grabe werden; aber aus dem Himmel, der über ihm sich wölbt, strahlt 
ihm freundlich die Hoffnung eines schönem Lebens nieder; die Religion 
ist ihm der Compaß, der ihn lehrt, wie er Schritt für Schritt wandeln 
soll, und er wallet freudig und getrost dem Ziele zu, das er festhält im 
Glauben und das er einst soll schauen. 
§ 144. Immer heftiger dringen die Begleiter in ihren Führer, 
daß er zurückkehre und seinen abenteuerlichen Plan aufgebe. Kolumbus 
läßt sich nicht wankend machen, läßt sich nicht schrecken. Man erzählt: 
sie hätten beschlossen, ihn umzubringen und allein wieder nach Europa 
zu segeln; nur die Besorgniß, ohne ihn ihre Heimath nicht wieder zu 
finden, habe sie von der Ausführung dieses Vorsatzes abgehalten; drei 
Tage habe er sich Bedenkzeit erbeten, nach deren Ablauf er die Rück¬ 
kehr antreten wolle; am frühen Morgen des dritten Tages, als der Un- 
muth des Schiffsvolks aufs Höchste gestiegen und schon von einem 
Mordplane die Rede gewesen, sei plötzlich der Ruf erschollen: Land! 
Land! Schon oft hatten die Harrenden geglaubt, Land vor sich zu 
sehen, jetzt sahen sie es wirklich. Eine schöne grüne Insel lag vor ihren 
Blicken ausgebreitet da, als am 11. October 1492 die Sonne aufging. 
Es war eine der Bahama-Jnseln, Guanahani genannt, die von Ko¬ 
lumbus den Namen San Salvador erhielt. Angethan mit einem schar- 
lachrothem Gewände, eine flackernde Fahne in seiner Hand, stieg Ko¬ 
lumbus aus dem Boote an's Land und siel nebst seinen Begleitern 
nieder auf seine Kniee; ein inbrünstiges Gebet entquoll seinem Herzen. 
Im Namen der Krone Spaniens nahm er feierlich von dem Lande 
Besitz. Die Insel war bewohnt. Die Eingebornen hatten sich beim 
Anblick der Schiffe in die Wälder geflüchtet, waren dann aber aus 
Neugier wieder herbeigekommen und standen staunend am Ufer. Sie 
waren von mittler Größe, wohlgestaltet und von graurother Hautfarbe. 
Die Schiffe staunten sie als Ungeheuer an, von denen sie wol glau¬ 
ben mochten, daß sie vom Himmel hernieder geflogen seien; die ausge¬ 
spannten Segel hielten sie für große Flügel; die Europäer, die in ihrer 
Gesichtsfarbe, ihrer Kleidung, ihrem Benehmen ganz von ihnen ver¬ 
schieden waren, sahen sie als Götter an, die vom Himmel gekommen 
seien; mit größter Ehrfurcht und unter allen Zeichen der Anbetung 
naheten sie ihnen. 
Löschte, Erzählungen. 
10