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fährt der Kleine endlich aus seinem Nachdenken auf, sieht mich groß an und
fragt mit gezogenem Tone: „Wollen Sie hier im Hause jemand sprechen?"
Verdrießlich, daß ein solches Männchen es wage, mich ohne weitere
Umstände anzureden, entgegnete ich in ziemlich hochtrabender Weise: „Ich
habe ein Geschäft mit dem Hause Mohrfeld."
Der Kurze lächelte einen Augenblick und sagte dann ziemlich ernst:
„Ich bin Mohrfeld."
Wie? Und von diesem Manne, der seine Fische selbst einkaufte und
in einem abgeschabten Oberrocke einherging, sollte mir Hilfe kommen? —
Aber es war der einzige Hoffnungsanker, nach dem ich greifen konnte; ich
riß also blitzschnell den Hut herunter und sagte mit so einnehmendem
Wesen, als es mir möglich war: „Verzeihen Sie! — Ich hatte bis jetzt
nicht die Ehre — ich habe", hier zog ich die Brieftasche — „ein
Schreiben zu überreichen."
Herr Mohrseld unterbrach mich: „Jetzt nicht; nachher werde ich Sie
sprechen im Kontor, Sie müssen aber etwas warten. Kommen Sie!" —
Er trat in das Haus und ich hinter ihm drein. Auf der Vordiele war
ein reges Leben, zwei große Wagschalen hingen von der Decke herab,
mehrere Quartiersleute schleppten Kaffeesäcke heran, die sämtlich gewogen
wurden, ein Kommis stand mit einer Schreibtafel dabei. Herr Mohrfeld
sah eine Weile schweigend zu und wollte weiter gehen, als einer der Leute
seinen Sack etwas unsanft zu Boden warf, sodaß dieser platzte und die
Bohnen weit umherflogen. „Was ist das für eine liederliche Wirtschaft!"
fuhr der Herr grimmig auf; dann aber bückte er sich und half emsig die
zerstreuten Bohnen aufsammeln, wobei er in Zwischenräumen folgendes
sprach: „Sammelt mir hübsch alles auf, und steckt es wieder in den Sack
hinein — dann soll die schadhafte Stelle ausgebessert werden. — Sic,
Herr Möller," — hierbei sah er den Kommis an — „werden den Sack
besonders nachwiegen lassen, und wenn etwas an dem Gewicht fehlt, be¬
rechnen Sie's und schreiben Sie es dem unvorsichtigen Menschen zur Last,
es soll ihm am Wochenlohne abgezogen werden."
„Das ist doch hart," meinte jener, „so ein paar Bohnen —"
„Paar Bohnen?" entgegnete der Kaufmann, „wer das Kleine nicht
ehrt, ist des Großen nicht wert; aus achtundvierzig Schillingen besteht ein
Taler, und zu einem guten Weinjahre gehören viele warme Tage. Also
nicht der Mühe wert? Unachtsamkeit ist ein großer Fehler und der Ruin
eines ordentlichen Geschäftes. Herr Möller, sobald der Mann noch eine
einzige, auch die kleinste Unachtsamkeit begeht, lohnen Sie ihn auf der
Stelle ab, ich mache Sie verantwortlich!"
„Großer Gott," dachte ich, „um einer Hand voll Kaffeebohnen
willen einen Mann außer Brot setzen, wie hart, wie grausam! Wie wird
es mir ergehen!"
Ein junger Mensch, mit der größten Eleganz gekleidet, kam aus dem
Kontor, verneigte sich vor Herrn Mohrfeld und wollte zur Tür hinaus,
aber auf einen Wink seines Prinzipals stand er still.
„Wie sehen Sie denn aus?" ftagte der Kaufmann unwillig, „ist
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