Full text: [Teil 4 = (8., 9. und 10. Schuljahr), [Schülerband]] (Teil 4 = (8., 9. und 10. Schuljahr), [Schülerband])

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203. Meine Göttin. 
(1780.) 
Welcher Unsterblichen 
Soll der höchste Preis sein? 
Mit niemand streit' ich: 
Aber ich geb' ihn 
Der ewig beweglichen, 
Immer neuen, 
Seltsamen Tochter Jovis, 
Seinem Schoßkinde: 
Der Phantasie. 
Denn ihr hat er 
Alle Launen, 
Die er sonst nur allein 
Sich vorbehält, 
Zugestanden 
Und hat seine Freude 
An der Thörin. 
Sie mag rosenbekränzt, 
Mit dem Lilienstengel 
Blumenthäler betreten, 
Sommervögeln gebieten 
Und leichtnährenden Tau 
Mit Bienenlippen 
Von Blüten sangen: 
Oder sie mag 
Mit fliegendem Haar 
Und düsterem Bücke 
Im Winde sausen 
Um Felsenwände 
Und tansendfarbig, 
Wie Morgen und Abend, 
Immer wechselnd, 
Wie Mondesblicke, 
Den Sterblichen scheinen. 
Laßt uns alle 
Den Vater preisen! 
Den alten, hohen, 
Der solch eine schöne, 
Unverwelkliche Gattin 
Dem sterblichen Menschen 
Gesellen mögen! 
Denn uns allein 
Hat er sie verbunden 
Mit Himmelsband 
Und ihr geboten, 
In Freud' und Elend 
Als treue Gattin 
Nicht zu entweichen. 
Alle die andern 
Armen Geschlechter 
Der kinderreichen, 
Lebendigen Erde 
Wandeln und weiden 
Im dunkeln Genuß 
Und trüben Schmerzen 
Des augenblicklichen, 
Beschränkten Lebens, 
Gebeugt vom Joche 
Der Notdurft. 
Uns aber hat er 
Seine gewandteste, 
Verzärtelte Tochter, 
Freut euch ! gegönnt. 
Begegnet ihr lieblich, 
Wie einer Geliebten! 
Laßt ihr die Würde 
Der Frauen im Haus! 
Und daß die alte 
Schwiegernmtter Weisheit 
Das zarte Seelchen 
Ja nicht beleid'ge! 
Doch kenn' ich ihre Schwester, 
Die ältere, gesetztere, 
Meine stille Freundin: 
O, daß die erst 
Mit dem Lichte des Lebens 
Sich von mir wende, 
Die edle Treiberin, 
Trösterin: Hoffnung! 
201. Das Göttliche. 
(Um 1780.) 
_ Edel sei der Mensch, 
Hilfreich und gut! 
Denn das allein 
Unterscheidet ihn 
Von allen Wesen, 
Die wir kennen. 
Heil den unbekannten, 
Höhern Wesen, 
Die wir ahnen! 
Ihnen gleiche der Mensch! 
Sein Beispiel lehr' uns, 
Jene glauben!
	        
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