Full text: Der Weltkrieg im Unterricht

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II. Praxis. 
fertiger Angriff der Brigade geradeaus aus das nächste Dorf Co., das 
überraschend vom Gegner weggenommen und daher sogleich mit Artillerie 
unter Feuer zu nehmen ist." Schon fing es an, leicht zu dunkeln. Ich 
werfe das Ulanenregiment, soviel davon gerade zu Pferde zur Hand ist, 
auf die nächste Anhöhe im Galopp vor zum Schutze der Artillerie, die 
dort auffahren soll; dicht dahinter jagt die Feldartillerie-Abteilung batterie¬ 
weise in beschleunigter Gangart nach; das Infanterieregiment eilt in drei 
Kolonnen ebenfalls nach vorwärts; — ich selbst mit meinem Stabe in 
Karriere zur Artillerie. Es ist ein Schlachtenbild zum Malen, zugleich 
aber auch eine spannende, fast dramatische und außerdem eine sehr ernste 
Lage; denn ein siegreicher Vorstoß der Franzosen durch das Dorf Co. 
hindurch nach Norden bedeutete einen Durchbruch durch die Gesechtssront 
des Armeekorps! Schon sind die Vorbereitungen zur Eröffnung des Ar- 
tillerieseuers getroffen, noch wenige Sekunden, und ein Hagel von Gra¬ 
naten wird sich über das unglückliche Dorf, das ein wundervolles Ziel 
bietet, ergießen — da kommt plötzlich die Meldung: „Co. ist nicht vom 
Feinde, sondern von unseren eigenen Truppen besetzt!" 
Ja, der Krieg ist der furchtbarste und fruchtbarste Urheber von 
Tragödien: wie danke ich Gott und meinem guten Stern, daß mir und 
meinen Truppen der Schmerz — und trotz aller Unschuld auch der Vor¬ 
wurf — erspart wurde, eigene Truppen und ein nicht vom Feinde be¬ 
setztes Dorf zusammengeschossen zu haben! Woher die erste falsche 
Meldung kam, weiß ich heute noch nicht; es wurde mir erzählt, sie habe 
sich nicht ans den Abend, sondern aus den Vormittag des 24. bezogen, 
wo tatsächlich Co. noch in französischer Hand war. Ob dies zutrifft, weiß 
ich nicht — aber der Vorfall beweist, welche schwerwiegenden Folgen 
Irrtümer in: Kriege haben können. 
Bei dunkler Nacht beziehe ich mit meinem Stabe und zahlreichen 
Offizieren meiner Infanterie, Kavallerie und Artillerie Quartier im ele¬ 
ganten, stattlichen Schlosse.des Dorfes; die Besitzerin, Madame de 36., 
ist tapfer aus dem Posten geblieben; sie hat vier verwundete französische 
Offiziere bei sich ausgenommen, wovon sie mir sogleich Mitteilung macht. 
Wir erleichtern der mutigen Dame die Unterbringung von Mann und 
Roß, so gut wir können, und bitten für den Abend nur um eine warme 
Suppe, einen kalten Gang und ein Glas Wein, was alles bald im vor¬ 
nehmen Speisesaal bereitsteht. Bevor ich mich in mein mit vortrefflichen 
Bildern aus der napoleonischen Zeit geschmücktes, höchst üppig aus¬ 
gestattetes Schlafzimmer zurückziehe, kann ich nicht umhin, Madame de 36. 
in schonender Weise von der furchtbaren Gefahr in Kenntnis zu setzen, in 
der sie, ihr Dorf und ihr Heim vor drei Stunden geschwebt haben, und 
der sie glücklich entgangen sind. Sie schaudert mit gutem Grund! An 
diesem Abend, im freilich sehr gemessenen Verkehr mit einer offenbar 
hochpatriotischen, aber auch energischen und mutigen Dame, bin ich froh
	        
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