Full text: Volkswirtschaftliche Ergänzungen zum Lehrstoffe der Volksschule

11. Gründung des Deutschen Reiches durch Heinrich I. 
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diesem Sinne muß man Heinrichs Wahl als den Anfang eines neuen, des Deutschen 
Reichs ansehen, wie es schon im Mttelalter geschah. 
Mit bewundrungswürdigem Scharfblick übersah Heinrich die Lage der Dinge und 
erkannte, wie eine Einigung der deutschen Stämme möglich sei, wie sich mit andern 
Worten der Bestand des Ostfränkischen, d. h. des Deutschen Reichs allein erhalten 
ließe. Wohl hütete er sich, auf die Irrwege König Konrads zu geraten; neue Bahnen 
schlug er mit erfinderischem und unerschrockenem Sinne ein. Nicht durch Unter- 
werfung der einzelnen Stämme unter den einen herrschenden wollte er die Reichs- 
gewalt aufrichten, wie es die Merowinger und nach ihnen die Karolinger getan hatten, 
nicht eine Sachsenherrschaft nach dem Regiment der Franken begründen; nicht von 
einem Mittelpunkte aus beabsichtigte er mit Hilfe allein von ihm abhängiger Beamten 
die Lande zu regieren und zu verwalten, wie es die Art der Frankenkönige gewesen 
war; nur durch eine freiere Gestaltung des Reichs ließ sich, wie Heinrich sah, zurzeit eine 
Einigung der deutschen Völker behaupten. Das Ideal, das seinem Geiste vorschwebte, 
stellte sich etwa in folgenden Zügen dar: jeder Stamm stehe in seinen eignen Angele- 
genheiten für sich uud ordne sie selbst nach altem Recht und Herkommen; ihn leite 
und führe in Zeiten des Kriegs und Friedens ein Herzog, dem die Grafen und Herren 
im Lande zu Kriegsgefolge und Gehorsam verpflichtet; dieser Herzog schlichte auf seinen 
Landtagen die Streitigkeiten der Großen im Lande, erhalte den Landfrieden und schütze 
die Grenzen gegen den einbrechenden Feind; wie aber die Herzoge über die einzelnen 
Stämme im Reiche gebieten, so walte über allen Landen des Reichs der König, der 
höchste Richter und Heerführer des ganzen Volkes. So sollte es werden, und so ward 
es! Wie die strahlenden Juwelen der goldne Reif zur Krone verbindet und so sich das 
herrlichste Sinnbild irdischer Macht gestaltet, faßte die königliche Gewalt die deutschen 
Länder zusammen und gab ihnen geeint erst ihre volle Kraft und Bedeutung. 
In der Idee, die Heinrich faßte, erschien das Reich fast nur als ein Bund der 
deutschen Stämme unter der Vorstandschaft des von ihnen gemeinsam gewählten 
Königs. Und doch viel fehlte daran, daß auch nur diese Vorstandschaft sie sogleich 
willig anerkannt hätten. Bayern und Schwaben hatten sich für den Augenblick vom 
Reiche getrennt — dort waltete Arnulf, hier Burchard mit völlig freier Gewalt — 
und Lothringen war seit Jahren mit dem Westfränkischen Reiche verbunden. Nur 
Franken und Sachsen bildeten zunächst das Reich; über sie ging Heinrichs Macht für 
den Augenblick nicht hinaus. Und ob er als König über Eberhard erhoben war, stand 
dieser doch ihm als Herzog in wesentlich gleicher Stellung zur Seite. Denn während 
Heinrich sich die herzogliche Gewalt, wie er sie besessen, in vollem Umfang bewahrte, 
blieb sie in derselben Weise Eberhard in den fränkischen Ländern erhalten; die Stellung, 
die hier vordem sein Geschlecht gewonnen und unter Konrads Regierung befestigt 
hatte, wurde ihm in keiner Weise gemindert. Nie ist wieder zwischen Heinrich und 
Eberhard ein Zwist ausgebrochen; bis an Heinrichs Ende blieben sie verbunden, und 
hauptsächlich auf ihre Eintracht gründete sich das werdende Reich. Aber Heinrichs 
Gedanken waren nicht auf Sachsen und Franken beschränkt, sondern hatten sich von 
Anfang an auf die Einigung sämtlicher deutscher Völker gerichtet, und so ließ er es 
sein erstes Geschäft sein, alle Stämme, die einst dem Ostfrankenreiche angehört hatten, 
zur Anerkennung seiner Oberherrschaft zu bringen. 
Zuerst wandte er sich, von einem Vasallenheer begleitet, gegen Schwaben (919). 
Herzog Burchard stand hier in voller Gewalt; gegen König Rudolf von Burgund, der 
fchon früher und gleich nach Konrads Tode abermals einen Versuch gemacht hatte, 
sich alamannischer Grenzländer zu bemächtigen, hatte der Herzog sich mannhaft
	        
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