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Was nun den Geometrieunterricht betrifft, der ja in der
Volksschule bis jetzt eine sehr bescheidene Rolle spielt, so kam für
diesen bisher im wesentlichen nur der teleologische Gesichtspunkt
in Betracht. Sein Zweck in der Volksschule war a) geometrische
Elementarkenntnisse zu vermitteln (Vorstellungen von Dreieck,
Viereck, Quadrat, Trapez, Raute, Kreis, Pyramide, Prisma,
Kugel, Kegel, Walze), b) gewisse Fertigkeiten anzuerziehen (Be¬
rechnen, Konstruieren, Messen). Mit diesem teleologischen Ge¬
sichtspunkt verband sich ein ganz allgemein gehaltener empirisch¬
psychologischer, nämlich den Unterricht an den geistigen Zustand
des Schülers der Volksschule anzupassen.
Ich habe die Aberzeugung, daß die Volksschulmethode auch
im allgemeinen diesen Hauptzweck des Geometrieunterrichtes wird
im Auge behalten müssen. Ich habe weiter die Aberzeugung, daß
unsere Lehrer nach dieser Richtung hin keiner Unterweisung be¬
dürfen. In dieser Beziehung beherrschen sie die Methode voll-
kommeu und meine Lehrprobe wird sich daher heute auch gar
nicht in dieser Richtung bewegen.
Was mich interessiert und was Sie wahrscheinlich alle interes¬
sieren wird, das ist die Frage, ob wir auch in der Volksschule den
ganz unvergleichlich hohen Erziehungswert der Geometrie aus¬
nützen können, der in ihr liegt als einer Wissenschaft und damit
als einem streng logischen Werkzeug, das in hervorragender Weise
geeignet ist, die Erziehung zum sorgfältigen Denken
zu fördern. Es ist also der dritte Gesichtspunkt, der logi-
s ch e, der uns heute beschäftigen soll, und die Lehrprobe, die ich
Ihnen vorführen will, ist weniger eine Demonstration, als viel¬
mehr ein Experiment, von dessen Gelingen ich allerdings gemäß
meiner Erfahrung überzeugt bin. Und daß ich das Experiment
vor Ihren Augen mache, ohne daß ich es vorher irgendwo schon
versucht habe, das soll auch Ihnen die Aberzeugung geben, daß
es unter gewissen Umständen möglich ist, auch den logischen
Gesichtspunkt der Methode in der Volksschule zur Geltung zu
bringen.
Dies ist nämlich im höchsten Grade wünschenswert. Wenn
die Erziehung keine andere Aufgabe haben kann als, wie es
Herbart ausgedrückt hat, die Erziehung der Charakterstärke
der Sittlichkeit, und wenn ein wesentlicher Bestandteil der Eha-
raktererziehung die Erziehung zum logischen Denken, zur Aus-