Full text: Für Mittelklassen (Stufe 2)

194. Iltis und Fuchs. 
Einst hatt' ein Iltis eine Gans gefangen. Er trug sie fort mit 
vieler Müh'. Zu rechter Zeit kam Reineke gegangen. Ei, speisest 
du nun gar solch' grobes Federvieh? sprach er den Räuber lächelnd 
an. Ich meinte, nur die zarte Taube sei deine Kost. Fürwahr, ich 
glaube, du hast zum Notbehelf den Schreier abgethan. Ja, wolltest 
du zwei Küchlein dafür geben, begann der Iltis, gäb' ich sie wohl 
hin. Freund zwei? ich will dir fünfe geben, rief Meister Fuchs, so 
wahr ich ehrlich bin. Mit Freuden ward der Vorschlag angenommen, 
und Meister Fuchs — soll heut' noch wiederkommen. 
195. Die Preunde. 
Zwei Brüder wandelten dureh einen dichten Wald. 
Der eine sprach: „Hier ist des Bären Aufenthalt.“ 
Der andere sprach: „Hier sind von roben Diebeshorden 
oft Reisende beraubt und oft getötet worden.“ 
Dann sprachen beideé: „Wohl, was uns aueh treffen mag, 
als reunde waren wir vereint bis diesen Tag. 
Wir bleiben's künftig aueh und werden in Gefahbren 
uns dureh verbund'ne Kraft in jeder Not bewahbren.“ 
Kaum war dies Wort gesagt, da zog ein grosser Bär 
auf unsre Preunde schon aus dem Gebüschbe ber. 
Der eine flüchtete sieh gleich auf eine Liche; 
der andre aber fiel und lag wie eine Leiche 
am Boden hingestreckt, well er einmal gehört, 
dass nie ein Bär vom Hleisebh erschlagneêèr Menschen zehrt. 
Der Bär sprang auf ihn los; er aber hbielt den Odem; 
der Bär beroeb ihn rings und leckt' ihn an dem Boden 
und lief zuletzt davon, weil er als tot ihn nalm. 
Jetzt spranug der Freund vom Baum, und als er nahe kam, 
rief er: „Was hat der Bär dir in das Ohr gesprochen, 
als er am Boden dieh beschnüffelt und beroben?“ 
„Er hat,“ sprach jener, „mich gewarnt: Nimm dieh in acht 
vor Preunden, die die Not dir sogleich untreu machtl“ 
196. Der Wolf und der Mensch. 
Der Fuchs erzählte einmal dem Wolfe von der Stärke des 
Menschen. Kein Tier, sagte er, könne ihm widerstehen und sie müßten 
List gebrauchen, um sich vor ihm zu retten. Da antwortete der 
Wolf: „Wenn ich nur einmal einen zu sehen bekäme, ich wollte doch 
auf ihn losgehen!“ — „Dazu kann ich dir helfen,“ sprach der Fuchs 
„komm nur morgen früh zu mir, so will ich dir einen zeigen.“ Der 
Wolf stellte sich frühzeitig ein, und der Fuchs ging mit ihm an den 
Weg, wo der Jäger alle Tage herkam. Zuerst kam ein alter, ab— 
gedankter Soldat. „Ist das ein Mensch?“ fragte der Wolf. — ‚Nein,“ 
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