Full text: Für Mittelklassen (Stufe 2)

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allein kannst du dich nicht durch den Wald finden. Am Abend kamen 
sie an ein Haus, und der Hauswirt nahm sie freundlich auf, speiste 
und herbergte sie aufs beste, denn, sagte er, ich feiere heut einen frohen 
Tag. Mein Feind hat sich mit mir versöhnt und mir zur Bekräftigung 
unserer Freundschaft einen schönen, goldenen Becher geschenkt. Am 
Morgen wünschten sie ihm einen Gotteslohn für seine Barmherzigkeit; 
der Einsiedler aber sah, wie sein Begleiter heimlich den goldenen Becher 
aus dem Schranke zog und in sein Bündel schob und ihn mitnahm, 
als sie weiter gingen. Der Einsiedler wollte böse werden, der Begleiter 
aber sprach: Schweig'! so sind die Wege Gottes! Darauf kamen sie 
wieder in ein Haus, der Hauswirt aber war ein Geizhals, fluchte und 
schimpfte über die ungebetenen Gäste und that ihnen ällen Spoͤtt und 
alles Leid an. Da müssen wir fort, sagte der Begleiter, und den 
Staub von unsern Füßen schütteln; ehe sie aber gingen, schenkte er 
dem Hauswirt, der nicht wußte, wie ihm geschah, den schönen, goldenen 
Becher. Was machst du da? fuhr der Einsiedler auf, der andere aber 
legte den Finger auf den Mund und sprach: Schweig'! so sind die 
Wege Gottes! Am Abend kamen sie wieder zu einem Mann, der war 
sehr gut, aber sehr traurig. Mit all seiner Arbeit, sagte er, könne er's 
doch nicht vorwärts bringen, — das Unglück verfolge ihn, ein Stück 
ums andere von seinem Eigentum müsse er verkaufen, und jetzt habe 
er nichts mehr, als seine baufällige Hütte mit ihren leeren Wänden. 
Gott wird helfen, sagte der Begleiter; vor dem Weggehen aber ergriff 
er ein Licht und zündete ihm das Haus über dem Kopf an. Halt! 
schrie der Einsiedler und wollte ihm in die Arme fallen, der aber sprach: 
Schweig'! so sind die Wege Gottes! Am Abend des dritten Tages 
kamen sie zu einem Manne, der nahm sie gut auf, war aber sehr finster 
und in sich gekehrt, nur mit seinem kleinen Söhnlein war er sehr 
freundlich; denn es war sein einziges Kind, und er hatte es sehr lieb, 
und dem Einsiedler gefiel das sehr wohl an dem Manne. Als sie am 
Morgen weggingen, sagte der Mann: Ich kann euch nicht begleiten, 
mein Söhnlein wird euch den Weg zeigen bis an den Steg, der über 
das Wasser führt; aber gebt mir acht auf das Kind, daß es keinen 
Schaden nimmt. — Gott wird's behüten, sagte der Begleiter und gab 
dem Manne die Hand. Als sie an den schmalen Steg gekommen 
waren, unter dem das Wasser rauschte, wollte das Söhnlein wieder un— 
kehren; der Begleiter aber sagte: Geh' nur voran! Darauf als sie 
die Mitte des Steges gekommen waren, faßte er das Kind im Genich 
hob es hoch in die Höhe und schleuderte es hinab in den Strom 
Jetzt verging dem Einsiedler Hören und Sehen. Du heuchlerischer 
Teufel, schrie er, da will ich lieber im wilden Walde verschmachten 
oder von den reißenden Tieren mich verzehren lassen, als noch einen 
Schritt mit dir gehen. Das sind die Wege Gottes, die du mir zeigen 
willst? Das lügst du und sollst mit deiner Lüge in die Hölle fahren! 
Aber im Augenblicke verwandelte sich der Begleiter in einen Engeh 
ein himmlischer Glanz umstrahlte ihn, und er sprach: Höre, Johannes! 
Der Becher, den ich dem freundlichen Manne nahm, war vergiftet, der 
Geizhals aber wird sich zum Lohn seiner Sünden den Tod daraus
	        
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