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Einleitung.
Auf gleiche Weise giebt es einen niedern und hö-
hern Standpunct für die Geschichte. Wer sie blos
aus Neugier, aus Kurzweil, aus glücklichem Spiele des
Gedächtnisses mit Tausenden von Namen und Zahlen er¬
lernt, ohne ihren Geist zu erforschen, steht auf dem nie¬
dern Standpuncte bei ihrer Betreibung. Wer aber in
der Geschichte das unermeßliche Spiel der menschlichen
Freiheit eines auf der Erde zu unendlichen Zwecken vorzube¬
reitenden Geschlechts erblickt, und dieses Geschlecht eben
so in seiner Entartung, wie in seinem Fortschreiten, rich¬
tig würdigt; wer durch die Großthaten der Edelsten unsers
Geschlechts aufgeregt wird, ihrer Bahn zu folgen, und in
den Schicksalen der Staaten und Völker die leitende und
richtende Hand der ewigen unveränderlichen Weltregierung
zu erkennen; der steht auf dem höher» Standpuncte, wel¬
chen die Geschichte zu vermitteln vermag, und aus welchem
Alles in dem Laufe der Weltbegebenheitcn in fester Ord¬
nung, in nothwendigem innern Zusammenhange, und bald
belehrend und tröstend, bald ermunternd und beruhigend,
bald warnend und mahnend vor unserm Blicke erscheint.
Es giebt eine übertriebene Bewunderung des
Alterthums, die leicht zur Verirrung und Ungerechtig¬
keit führt. Es ist wahr, das Helldunkel, das über die
kräftigsten und blühendsten Völker der Vorzeit ausgegossen
ist, thut besonders der jugendlichen Seele wohl. Gern hö¬
ren wir die einfache Weisheit, die von Sokrates Munde
stoß; ergriffen fühlen wir uns von Platons himmlischen
Träumen, und fortgerissen von dem einfachen Naturtone
und der lieblichen Melodie der ältern Dichter. Allein liegt
nicht die spätere Geschichte, das jüngere Menschen¬
geschlecht unsern Tagen und unsern Bedürfnissen ungleich
naher? Sind wir nicht dem Geiste durch ähnliche Bedürf¬
nisse, gleichartige Bildung und kraftvolles Vorwärtsstrcben
mehr verwandt, der in Luther die Bande des kirchlichen
Zwanges auf immer zerriß, der in Colom einen neuen
Erdtheil, in Herschel einen neuen Himmel, in Leibnitz