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27. Luther tm „Schwarzen Bären" vor Jena.
Berufes stets eingedenk. „Ich wollte", schrieb er, „für die Ehre des göttlichen
Wortes lieber auf glühenden Kohlen brennen, als hier in der Einsamkeit leben
und verfaulen." Indessen benutzte er diese Einsamkeit treulich, sein Werk zu
fördern. Er studierte Tag und Nacht und ließ manche kräftige Schrift aus¬
gehen, worin er das Papsttum angriff und seine Widersacher widerlegte. Da
merkte denn die Welt wohl, daß der Gottesmann noch am Leben sei; aber den Ort
konnte niemand erfahren. Das Allerwichtigste aber, was Luther auf der Wartburg
arbeitete, war seine Übersetzung der Bibel in die deutsche Sprache. Er wußte
wohl, daß solche Übersetzung das beste Mittel sein würde, um das Volk zur
Erkenntnis zu bringen, wie weit die katholische Kirche von ihrer ursprünglichen
Einfachheit und Reinheit abgewichen sei. Mutig wagte er sich daher an die
schwierige Aufgabe, zu welcher es ihni ganz an Hilfsmitteln fehlte. Denn frei¬
lich gab es schon damals mehrere deutsche Bibelübersetzungen, aber sie waren
nicht aus der Grundsprache, sondern erst aus der lateinischen Übersetzung über¬
tragen und deshalb sehr unrichtig und oft unverständlich. Luther vollendete aus
der Wartburg in kurzer Zeit die herrliche Übersetzung des Neuen Testamentes,
welche ein wahres Kleinod der evangelischen Kirche, wie der deutschen Sprache
geworden ist. Denn sie erst begründete die neuhochdeutsche Schriftsprache.
Nachdem er 10 Monate auf der Wartburg gewesen war, hörte er von
Unruhen, die unter seinen Anhängern in Wittenberg ausgebrochen seien. Nun
ließ er sich durch keine Rücksicht aus Gefahr mehr aufhalten, sondern eilte ohne
Erlaubnis des Kurfürsten nach Wittenberg, brachte hier alles in Ordnung und
setzte nun das Werk der Bibelübersetzung mit einigen seiner ^Freunde, welche die
nötigen gelehrten Kenntnisse hatten, eifrig fort. Im Jahre 1534 erschien die
ganze deutsche Bibel. Der ausgezeichnetste unter seinen Mitarbeitern war Phi¬
lipp Melanchthon, ein gelehrter und frommer Mann, der durch seine Milde
und Sanftmut den feurigen Eifer Luthers üi den rechten Grenzen hielt. Andrä.
'Derselbe Luther, der in göttlichen Dingen einen so heiligen Ernst zeigte, war
im menschlichen Verkehr oft von der liebenswürdigsten Heiterkeit. Als er
von der Wartburg heimlich nach Wittenberg ritt, nahm er unterwegs in dem
„Schwarzen Bären" vor Jena Herberge, ohne sich jemandem zu erkennen zu
geben. Er nannte sich nur Martinus. Dort kehrte auch der Schweizer Johann
Keßler, der sich nach Wittenberg begab die heilige Schrift zu studieren, mit
einem Reisegefährten ein.
Als nur in die Stube traten (so erzählt Keßler), fanden wir einen Mann
allein am Tische sitzend und ein Büchlein vor ihm liegend; der grüßte uns
freundlich, hieß uns zu ihni an den Tisch sitzen und bot uns zu trinken. So
bestellten wir auch ein Maß Wein, damit wir von Ehren wegen ihm wiederum
zu trinken böten, meinten aber nicht anders, als daß er ein Reuter wäre; denn
er saß in Hosen und Wams, ein Schwert an der Seite, mit der Rechten des
Schwertes Knopf, mit der Linken das Heft umfangend. Bald sing er an zu
fragen, woher wir gebürtig wären. „Von St. Gallen", antworteten wir.
Sprach er: „Wenn Ihr dann gen Wittenberg wollt, so stndet Ihr gute Lands¬
28. Luther im
chwarzen Baren" vor Jena.