II. Kulturbilder aus Welt und Werkstatt.
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Ein solches Prachtstück ist z. B. der Einband des Codex aureus aus
St. Emmeran, jetzt in München.
So sehen wir, daß am Ende des karolingischen Zeitraums sich Wis¬
senschaft, Litteratur, Kunst, kurz alles, was das innere Leben schmücken
konnte, in die Klöster zurückgezogen hatte und hier eine freundliche Heim¬
stätte fand. Hier schassten die stillen Mönche und hier ruhten wohl auf¬
gehoben durch den Sturm und Brand der Zeiten ihrer Hände Werke.
Als die Zeit der Klöster erfüllet war und die Säkularisationen zur Zeit
der Reformation und zu Anfang unsers Jahrhunderts ihrem Dasein
meistens ein Ende bereiteten, da ergossen sich längst vergessene, ungeahnte
Schätze über unsere Archive und Bibliotheken und was wir heute in den
öffentlichen Sälen dieser Institute zu Berlin, München, Wolfenbüttel,
Dresden u. a. O. finden an Kaiserurkunden, Diplomen, Handschriften,
Miniaturen u. s. w., das stammt alles aus den stillen Klostermauern von
Korvey, St. Emmeran, Weißenburg, Tegernsee, Benediktbeuren und wie
die vielen ehrwürdigen Namen weiter heißen.
L. Stacke. Deutsche Geschichte, S. 226.
62. Land und Stadt zu Anfang des 12. Jahrhunderts.
Der wackere Landmann, welcher um das Jahr 1100 von einer Höhe
seiner Dorfflur ausschaute, sah im Morgenlicht eine andere Landschaft als
seine Ahnen gekannt halten. Noch war der Rand des Horizontes von
dunklem Waldsaum umzogen; es war damals viel Wald noch in der Ebene,
überall Laubgehölz. Weiher und Wasserspiegel auf niedrigen Stellen zwischen
dem Ackerboden, aber das Land war in der Ebene reich bevölkert, die Zahl
der Dörfer und Einzelhöfe wahrscheinlich nicht viel geringer als jetzt, die
meisten nicht so menschenreich.
In geordnetem Wald waren neue Hufen ausgemessen und mit An¬
siedlern besetzt; in der eigenen Dorfflur war altes Weideland in Ackerbo¬
den verwandelt; zwischen Saat und Holz stand am Waldessaum oder aus
einem Bergesvorsprung die Kapelle eines Heiligen; in den Dörfern ragten
die hölzernen Glockentürme hoch über die Häuser und Ställe und am
Sonntagmorgen läuteten die Glocken durch das ganze Land, aus einer
Flur über die andere, und zu dem hohen Ton der kleinen Dorfglocken
gab in der Ferne das mächtige Summen einer großen Glocke den
Grundton.
Denn unten in der Flußniederung ragten Kuppeln und Türme eines
Domes inmitten vieler Häuser, die mit starker Mauer umgeben waren.
Eine Stadt war gebaut, wo einst der Reiher über das Wiesenland geflo¬
gen , oder der Hirsch auf dem Wildpfad zur Tränke gelaufen war. Und
wieder auf der andern Seite stand gegen das Dorf aus steilem Berggipfel
ein gemauerter Turm und ein hohes Haus mit kleinen Fenstern, Eigen¬
tum des Grafen und Wohnsitz eines reisigen Dieustmannes, der mit sei¬
nen Genossen dort oben Haus hielt, nicht zur Freude des Bauern. Um¬