Full text: Lehr- und Lesebuch für gewerbliche Fortbildungsschulen und Fachschulen sowie zur Selbstbelehrung

II. Kulturbilder aus Welt und Werkstatt. 
127 
Ein solches Prachtstück ist z. B. der Einband des Codex aureus aus 
St. Emmeran, jetzt in München. 
So sehen wir, daß am Ende des karolingischen Zeitraums sich Wis¬ 
senschaft, Litteratur, Kunst, kurz alles, was das innere Leben schmücken 
konnte, in die Klöster zurückgezogen hatte und hier eine freundliche Heim¬ 
stätte fand. Hier schassten die stillen Mönche und hier ruhten wohl auf¬ 
gehoben durch den Sturm und Brand der Zeiten ihrer Hände Werke. 
Als die Zeit der Klöster erfüllet war und die Säkularisationen zur Zeit 
der Reformation und zu Anfang unsers Jahrhunderts ihrem Dasein 
meistens ein Ende bereiteten, da ergossen sich längst vergessene, ungeahnte 
Schätze über unsere Archive und Bibliotheken und was wir heute in den 
öffentlichen Sälen dieser Institute zu Berlin, München, Wolfenbüttel, 
Dresden u. a. O. finden an Kaiserurkunden, Diplomen, Handschriften, 
Miniaturen u. s. w., das stammt alles aus den stillen Klostermauern von 
Korvey, St. Emmeran, Weißenburg, Tegernsee, Benediktbeuren und wie 
die vielen ehrwürdigen Namen weiter heißen. 
L. Stacke. Deutsche Geschichte, S. 226. 
62. Land und Stadt zu Anfang des 12. Jahrhunderts. 
Der wackere Landmann, welcher um das Jahr 1100 von einer Höhe 
seiner Dorfflur ausschaute, sah im Morgenlicht eine andere Landschaft als 
seine Ahnen gekannt halten. Noch war der Rand des Horizontes von 
dunklem Waldsaum umzogen; es war damals viel Wald noch in der Ebene, 
überall Laubgehölz. Weiher und Wasserspiegel auf niedrigen Stellen zwischen 
dem Ackerboden, aber das Land war in der Ebene reich bevölkert, die Zahl 
der Dörfer und Einzelhöfe wahrscheinlich nicht viel geringer als jetzt, die 
meisten nicht so menschenreich. 
In geordnetem Wald waren neue Hufen ausgemessen und mit An¬ 
siedlern besetzt; in der eigenen Dorfflur war altes Weideland in Ackerbo¬ 
den verwandelt; zwischen Saat und Holz stand am Waldessaum oder aus 
einem Bergesvorsprung die Kapelle eines Heiligen; in den Dörfern ragten 
die hölzernen Glockentürme hoch über die Häuser und Ställe und am 
Sonntagmorgen läuteten die Glocken durch das ganze Land, aus einer 
Flur über die andere, und zu dem hohen Ton der kleinen Dorfglocken 
gab in der Ferne das mächtige Summen einer großen Glocke den 
Grundton. 
Denn unten in der Flußniederung ragten Kuppeln und Türme eines 
Domes inmitten vieler Häuser, die mit starker Mauer umgeben waren. 
Eine Stadt war gebaut, wo einst der Reiher über das Wiesenland geflo¬ 
gen , oder der Hirsch auf dem Wildpfad zur Tränke gelaufen war. Und 
wieder auf der andern Seite stand gegen das Dorf aus steilem Berggipfel 
ein gemauerter Turm und ein hohes Haus mit kleinen Fenstern, Eigen¬ 
tum des Grafen und Wohnsitz eines reisigen Dieustmannes, der mit sei¬ 
nen Genossen dort oben Haus hielt, nicht zur Freude des Bauern. Um¬
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.