Full text: Lehr- und Lesebuch für gewerbliche Fortbildungsschulen und Fachschulen sowie zur Selbstbelehrung

I. Lebensbilder. 
15 
tüte" man hinter eine Sache gekommen, eben so viel wert, eben so lehrreich, 
als^die Sache selbst. — Das Vergnügen der Jagd ist ja allzeit mehr 
wert als der Fang. 
* * 
* • . 
6. Es gehört dazu, um in irgend einer Sache vortrefflich zu werden, 
daß man sich diese Sache selbst nicht geringfügig denkt. Man muß sie 
vielmehr unablässig als eine der ersten in der Welt betrachten, oder es 
ist kein Enthusiasmus möglich, ohne den doch überall nichts Besonderes 
auszurichten steht. 
* * 
* , 
7. Nicht die Wahrheit, in deren Besitz irgend ein Mensch ist oder 
zu sein vermeinet, sondern die aufrichtige Mühe, die er angewandt hat, 
hinter die Wahrheit zu kommen, macht den Wert des Menschen. Denn 
nicht durch den Besitz, sondern durch die Nachforschung der Wahrheit 
erweitern sich seine Kräfte, worin alle seine immer wachsende Voll¬ 
kommenheit bestehet. Der Besitz macht ruhig, träge und stolz. 
Wenn Gott in seiner Rechten alle Wahrheit und in seiner Linken den 
einzigen immer regen Trieb nach Wahrheit, obschon mit dem Zusatze mich 
immer und ewig zu irren, verschlossen hielte, und spräche zu mir, wähle! 
Ich fiele ihm mit Demut in seine Linke und sagte: „Vater, gieb f die 
reine Wahrheit ist doch nur für dich allein. 
15. Johann, der Seifensieder. 
Johann, der munt're Seifensieder, 
Erlernte viele schöne Lieder, 
Und sang mit unbesorgtem Sinn 
Vom Morgen bis zum Abend hin. 
Sein Tagwerk konnt' ihm Nahrung bringen; 
Und wenn er aß, so mußt' er singen: 
Und wann er sang, so war's mit Lust, 
Aus vollem Hals und freier Brust. 
Beim Morgenbrot, beim Abendessen 
Blieb Ton und Triller unvergessen; 
Der schallte recht; und seine Kraft 
Durchdrang die halbe Nachbarschaft. 
Man horcht; man fragt: Wer singt schon 
wieder? 
Wer ist's? Der munt're Seifensieder. 
Im Lesen war er anfangs schwach; 
Er las nichts, als den Almanach; 
Doch lernt er auch nach Jahren beten, 
Die Ordnung nicht zu übertreten, 
Und schlief, dem Nachbar gleich zu sein, 
Oft singend, öft'rer lesend, ein. 
Er schien fast glücklicher zu preisen, 
Als die berufnen sieben Weisen, 
Als manches Haupt gelehrter Welt, 
Das sich schon für den achten hält. 
Es wohnte diesem in der Nähe 
Ein Sprößling eigennütz'ger Ehe, 
Der, stolz und steif und bürgerlich, 
Im Schmausen keinem Fürsten wich: 
Ein Garkoch richtender Verwandten, 
Der Schwäger, Vettern, Nichten, Tanten, 
Der stets zu halben Nächten fraß, 
Und seiner Wechsel oft vergaß. 
Kaum hatte mit den Morgenstunden 
Sein erster Schlaf sich eingefunden; 
So ließ ihm den Genuß der Ruh' 
Der nahe Sänger nimmer zu. 
Zum Henker! lärmst du dort schon wieder, 
V erm aled eiter Seifensied er ? 
Ach wäre doch, zu meinem Heil, 
Der Schlaf, hier, wie die Austern, feil! 
Den Sänger, den er fiüh vernommen, 
Läßt er an einem Morgen kommen, 
Und spricht: „Mein lustiger Johann: 
Wie geht es euch? Wie fangt ihr's an? 
Es rühmt ein jeder eure Ware: 
Sagt, wie viel bringt sie euch im Jahre?" 
,,Jm Jahre, Herr? mir fällt nicht bei, 
Wie groß im Jahr mein Vorteil sei. 
So rechn' ich nicht; ein Tag bescheret, 
Was der, so auf ihn kömmt, verzehret 
Das folgt im Jahr (ich weiß die Zahl) 
I Drei hundert fünf und sechzig mal."
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.