I. Lebensbilder.
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Trieb zum Lesen beseelte ihn und suchte und fand Befriedigung durch die
Gunst des fürstlichen Bibliothekars. Die Weltgeschichte, die 21 Bände
der Reisen zu Wasser und zu Lande gaben dem Knaben Beschäftigung.
Prinz Heinrich, der Seefahrer, Albuquerka wurden seine Helden. Dann
fiel ihm die Bertuch'sche Übersetzung des Ton Quixote in die Hände und
verdrängte schnell Campes Robinson und erfüllte seine Seele. Daß er
dabei nicht in leeres Träumen versank, verdankte er einem anderen Oheim,
der als Landbaumeister auf Schloß Schwarzburg wohnte. Monatelang
ließ dieser den Knaben bei sich wohnen und mutete ihm große Anstren¬
gungen zu, wenn er mit ihm Berg und Thal durchwanderte, die Forsten
besuchte oder auf den Vogelhütteu sich aufhielt. Nie ist in Perthes die
Erinnerung an diesen Aufenthalt und an diese Wanderungen erloschen.
Die dunklen Tannen, die das Gebirgsgeschiebe des wunderbar schönen
Ortes bedecken, das Rauschen der Schwarza, die unten tief im Thale den
Berg umschlingt, auf welche das Schloß gebaut ist, drückten sich unver-
tilgbar in das Gedächtnis des Knaben ein.
Als Perthes konfirmiert und 14 Jahr alt geworden war, mußte ein
Beruf gewählt werden. Ihn studieren lassen, war unmöglich; was man
in Rudolstadt Kaufmann nannte, wollte er nicht werden. Der jüngste
Bruder seines Vaters war Buchhändler in Gotha und ihm ging es
zieinlich gut; natürlich wurde nun für den Knaben an den Buchhändler
gedacht; was das eigentlich war und was dazu gehörte, wußte er zwar
nicht, denn in Rudolstadt war keine Buchhandlung; aber daß es da Bücher
gebe, die man lesen könne, schien ihm gewiß, und das war für ihn ent¬
scheidend.
Im Jahr 1786 nahm der Buchdruckereibesitzer Schirach den Knaben
mit sich zur Messe nach Leipzig, um dort einen Lehrherrn für ihn zu
suchen. Zuerst stellte er ihn Herrn Ruprecht aus Göttingeu vor, der ihn
freundlich anredete und sich amo konjugieren ließ, dann aber, als das nicht
ging, ihn nicht nehmen wollte. Nun wurde er zu Herrn Siegert aus
Liegnitz gebracht, aber der lange, hagere Mann und sein feuerfarbener bis
zur Ferse hinabreichender Oberrock setzte den Knaben so sehr in Furcht,
daß er kein Wort hervorzubringen vermochte; er sei zu blöde zum Buch¬
handel, hieß es. Endlich zeigte sich Adam Friedrich Böhme, welcher in
Leipzig selbst eine Handlung hatte, gezeigt, ihn zu nehmen. Aber der
Junge muß noch ein Jahr wieder nach Haus; er ist für die Arbeit noch
zu klein und schwach.
Als das Jahr verflossen war, wurde zwischen dem Oheim und dem
künftigen Lehrherrn ein feierlicher Vertrag geschlossen, worin Herr Böhme
„diesem jungen Menschen die Buchhandlung ohne Entrichtung einigen Lehr¬
geldes in 6 Jahren zu lehren" versprach. — Am Sonntag den 9. Sep¬
tember 1787 trat der 15jährige Knabe allein auf unbedecktem Postwagen
die Reise in die Fremde und ins Leben an. In Regen und scharfer Kälte
fuhr er über Neustadt, Gera, Zeitz und langte am Dienstag, den 11. Sep¬
tember nachmittags 3 Uhr im Hause seines Lehrherrn an. „Mein
Himmel, Junge," rief dieser ihm entgegen, „du bist ja noch eben so klein
Ahrens, Lehr- und Lesebuch für Fortbildungsschulen. 2