Full text: Lehr- und Lesebuch für gewerbliche Fortbildungsschulen und Fachschulen sowie zur Selbstbelehrung

Et. Kulturbilder aus Welt und "Werkstatt. 
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und Schmiedeberg war im 16., 17. und noch im 18. Jahrhundert die Fabrikation 
von kurzen Waren nicht unbedeutend. 
Alle industrielle Thätigkeit in den früheren Jahrhunderten war an die Form des 
Handwerks im eigentlichen Sinne und des Jnnungswesens gebunden. Das Innungs- 
Wesen ist in Schlesien so alt wie das Handwerk selbst. Außerhalb des Jnnungsver- 
bandes war es in den Städten gar nicht möglich, ein Handwerk in größerem Umfang 
zu treiben, auch die ganze bürgerliche Stellung des Handwerkers hing von der Mit¬ 
gliedschaft in einer Innung ab. Letztere regelte das Meister-, Gesellen- und Lehr¬ 
lingswesen; sie bestimmte vielfach den Handwerksgebrauch und hielt auf Güte und 
Preiswürdigkeit der Waren, auf die Ehre der Arbeit und die sittliche Zucht der Ge¬ 
nossen. Eifersüchtig suchte sie ihre Mitglieder gegen fremde Konkurrenz zu schützen. 
Gerade letztere wurde beim Verfall des Jnnungswesens Hauptzweck und die engherzige 
Auffassung und Verfolgung dieses Zweckes verknöcherte allmählich den gesunden Kern 
des ganzen Instituts. 
Gegenüber den durch das Jnnungswesen gezogenen Schranken gestatteten die 
nach und nach in allen Städten eingeführten Jahrmärkte der Unternehmungslust 
eine freiere Bewegung. Sie gewährten den Industriellen das Mittel, mit ihren Ab¬ 
nehmern auch in weiteren und weitesten Kreisen in Verbindung zu treten. Auch gaben 
namentlich die Breslauer Jahrmärkte den gleichen Jnnungsgenossen des ganzen Landes, 
ja auch der Nachbarländer, Gelegenheit zu gemeinsamen Vereinbarungen und Fest¬ 
setzungen. 
Da die Blüte der schlesischen Industrie hauptsächlich von der industriellen Un¬ 
selbständigkeit des großen Hinterlandes abhing, so ist es natürlich, daß dieselbe in dem 
Maße abzunehmen beginnt, als sich der Osten auch in Handwerk und Industrie 
mehr auf eigene Füße zu stellen versucht. Seit dem 16. Jahrhundert beginnen die 
Klagen über den Verfall der Tuchweberei. Schon 1524 suchen die Breslauer Tuch¬ 
macher zwischen den schlesischen und lausitzer Städten eine Vereinbarung dahin zustande 
zu bringen, „daß keiner unter ihnen, er sei reich oder arm, auf ein ganzes Jahr lang 
die Woche über vier Tuch wirken und ausarbeiten sollte, in Berhoffen, die Tuche 
sollten würdiger (d. i. teurer), und wiederum der Waid und die Wolle geringeren 
Kaufes werden." Doch dies traurige Mittel verschlug nichts. Es folgen immer 
neue Klagen über die Beschwerden und Hemmnisse des Handels in Polen und über 
die Konkurrenz, welche die neuen Niederlagen in Krakau, Kalisch, Posen, Thorn u. s. w. 
den Breslauer Niederlagen machten. Die im 17. Jahrhundert auferlegten Aus- 
und Einfuhrzölle und die Vertreibung der Protestanten durch die österreichischen 
Herrscher, durch welche viele Tausende von fleißigen Arbeitern aus dem Lande ge¬ 
drängt wurden, schädigten das Gewerbe. In Sagan sank die Zahl der Tucharbeiter 
von 700 auf 10, in Löwenberg von 300 auf 11; der Abt von Grüssau vertrieb auf 
einmal 1240 seiner Unterthanen, meist Weber und Bleicher. So kam es, daß im 
Anfang des 18. Jahrhunderts Schlesien nur noch den dritten Teil der Tuchmacher 
zählte, die es früher gehabt hatte. Und auch diese nährten sich schlecht; sie konnten 
die Konkurrenz der lausitzer, polnischen und märkischen Städte, nach welchen sich die 
ausgewanderten Protestanten hingezogen hatten, schwer bestehen, zumal da Schlesien 
höher besteuert war als die Nachbarländer. Dies hatte zur Folge, daß Wolle und 
Flachs, die hervorragendsten Produkte des Landes, größtenteils roh, oder in Garnen 
und unbereiteten Geweben nach der Lausitz, Sachsen, Holland, Flandern, Aachen kurz 
ins Ausland gingen. Doch galt Schlesien noch immer als das Hauptindustrieland der 
österreichischen Monarchie, welche mit Einsicht und Eifer dem Verfall entgegen zu 
arbeiten suchte. 1716 entstand das Kommerzkollegium in Breslau. Durch Ermäßigung 
oder teilweise Beseittgung der Zollschranken zwischen den österreichischen Kronländern 
suchte man Schlesien für die verlorenen polnischen und russischen Märkte ein neues 
Absatzgebiet zu verschaffen und in der That hob sich von 1720 an die Tuchproduktton 
wieder. Da griff die preußische Besitzergreifung 1741 wieder störend ein und zwang 
die Schlesier, die Richttmg des Marktes von neuem zu ändern, sich Absatzgebiete im 
Norden und über das Meer zu suchen. 
Obwohl das Land unter der preußischen Regierung gewalttge Kriege durchzu¬ 
machen hatte, hob es sich doch sehr. Handel und Industrie nahmen wieder zu.
	        
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