XX. §. 9. Erneuter Glanz des deutschen Kaiserthumö re. 383
Tribut zu zahlen. Unter den empörerischen Wenden, zwischen Elbe
und Oder gelang es ihm, das Christenthum und die kirchliche Ober-
Herrlichkeit wieder herzustellen. Mit den Königen von Dänemark und
England stand er in freundlichem Einvernehmen. Der französische
König fürchtete ihn unt> mußte Lothringen ungeschmälert lassen. In
Burgund und Italien schaltete er als in seinem Eigenthum und die
römischen Papste waren Geschöpfe seines Willens. Welch eine Aus¬
sicht, wenn dieser kräftige Mann noch etliche Jahrzehende die Gewalt
in Händen behalten hätte. Welch einen andern Verlauf würde die
deutsche Geschichte gehabt haben. Aber des Herrn Gedanken sind
höher als der Menschen Gedanken. Nicht durch das Schwert, nicht
durch Mannesmuth und politische Größe sollte die nächste Entwicklung
der Christenheit sortgeleitet werden. Des stolzen Kaisers Nachfolger
war wiederum ein Kind, selbst ein Spielball der gewaltsam emporstre¬
benden und sich befehdenden Parteien, und da es herangewachfen war,
erwies es sich als ein sittlich verdorbener, niedriger, treuloser und grau¬
samer Charakter, desgleichen bisher noch nimmer auf deutschem Kö¬
nigsthrone war gesehen worden. Hakte die persönliche Trefflichkeit und
Tüchtigkeit der früheren Kaiser Alles zusammengehalten, so sank un¬
ter der unwürdigen und untüchtigen Persönlichkeit Heinrich's IV.
(1036—1106) Alles auseinander. Bald kam es dahin, daß aller
Orten Fürst und Volk wider einander in Waffen standen, daß die
schwersten Anklagen von jeder Seite gegen die andere geschleudert wur¬
den, daß die kaiserliche Person, die „Summe und Quelle alles Rechts
und aller Gesetze", als Abgrund alles Unrechts und aller Frevel ver¬
abscheut wurde. Da schaute unwillkürlich das Auge sich um nach
einem höhern Richter, der auch über den kaiserlichen Frevler zu
Gerichte sitzen und Strafe verhängen könnte. Und siehe da, in dem¬
selben Augenblick, wo das Bedürfniß erwachte, war auch die Hülfe
vorhanden. In dem Oberhaupt der Kirche, das sich eben jetzt zu neuer
Kraft und Klarheit über seinen Beruf erhoben hatte, fand die Chri¬
stenheit, fand auch Heinrich IV. den strengen und gerechten Richter,
vor dem er tief, tief sich beugen mußte, als ein Büßender, als ein
mit Fug und Recht gebannter Sünder. Und wohl ihm, wenn er nun
von Herzen sich ob seiner Sünden vor Gott gedemüthigt hätte.
Welch ein Umschwung innerhalb Menschengedenken! Im Jahr 1046
war es, als der hochstrebende Vater Heinrich III. über drei Päpste zu¬
gleich in Sutri zu Gericht saß sie alte drei absetzte und nach seinem Ge¬
fallen andere würdigere Päpste erhob; und im Jahr 1077 stand sein
Sohn Heinrich IV. als ein ausgestoßener Büßer mit nackten Füßen
v. Rohden, Leitfaden. 25