I. Lebensbilder.
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— „Ihr braucht nur zu arbeiten und zu sparen, d. h. ihr müßt
nicht zu viel ausgeben," sagte Vater Reinhard zu ihnen.
— „Vor allem sparen," fügte der Lehrer hinzu. „Wenn ihr noch
so andauernd und hart arbeitet, aber jeden Tag das ausgebt, was ihr an
demselben Tage verdient, also von der Hand in den Mund lebt, werdet
ihr nie in den Besitz eines Kapitals gelangen. Durch Arbeit kann man
Geld gewinnen, durch Sparsamkeit es bewahren und vermehren."
— „Also das Kapital besteht aus Geld?" fragte Paul.
— „Gewiß," riefen mehrere der Umstehenden zugleich.
— „Nicht immer," versetzte der Lehrer. Als man glaubte, er
scherze, sagte er: „Hier seht ihr ein Fünfmarkstück. Das ist doch Geld,
nicht wahr?"
— „Ja, ja!" —
— „Nun gut. Wenn ich für dies Geld Brot zum Verzehren kaufe,
so ist das kein Kapital. Kaufe ich dagegen für dies Geld ein Buch, wel¬
ches ich zum Unterricht gebrauche, so ist dies mein Werkzeug, — das Buch
ist mein Hammer, mein Hobel — und da die Werkzeuge einen Teil des
Kapitals bilden, so sind die 5 Mark, welche ich für das Buch ausgab, als
Kapital anzusehen. Das Geld, welches man zur Befriedigung seiner Be¬
dürfnisse ausgiebl, ist kein Kapital, sondern Einkommen.
Die Zuhörer waren über das, was der Lehrer gesagt hatte, etwas
verdutzt.
Er mußte also damit ansangen, ihnen auseinanderzusetzen, daß das
Geld an sich zu nichts dienen kann; man kann es nicht essen, und man
kann mit einem Geldstück nicht schreiben, sägen, nähen oder das Feld be¬
arbeiten. Das Geld ist nur nützlich als Mittel, um das zu kaufen, was
man nötig hat.
Das Geld repräsentiert also bald Brot, bald ein Werkzeug, bald irgend
eine andere Sache.
Nachdem er an diese Wahrheit, die jedermann bekannt ist, erinnert
hatte, wandte er sich an einen Weber: „Ihr macht Leinwand, Nachbar Gut¬
mann, was gebraucht ihr dazu?"
— „Einen Webstuhl und Garn."
— „Eure Hände, eure Arbeit genügen also dazu nicht. Ihr müßt
durchaus Garn haben, welches euer Rohmaterial ist und einen W e b -
stuhl, welcher euer Instrument, eure Maschine ist. Nun wohl, euer
Webstuhl, euer Garn, das Lokal, in welchem sich euer Webstuhl be¬
findet, die Vorräte, welche ihr haben müßt, um auf Zahlung warten
zu können, bilden euer Kapital. Mit allen diesen Hülfsmitteln produziert
ihr, macht ihr Leinwand. Alles was außer eurer Arbeit zu diesem Zwecke
erforderlich ist, bildet das Kapital."
— „Sind denn der Pflug, die Ochsen, die Schafe ebenfalls Kapital?"
— „Ohne Zweifel. Denken wir uns einen jungen Mann, welcher
anfängt, Geld zu verdienen, und jeden Tag eine Mark erspart. Nach 100
Tagen hat er 100 Mark. Ist dies ein Kapital? Wir wissen es noch
nicht, denn es kommt darauf an, was er mit dem Gelde anfängt. Augen-