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der Mensch gezwungen wird, sich aus der Zerstreutheit zu sammeln
und sich mit den inhaltlosen Zahlen, die nur Vorstellungen seiner
inneren Verstandesthätigkeit sind, zu beschäftigen. — Das Rechnen bildet
auch den W a h r h e i t s s i n n. Dieses Gefühl des Wahrheitssinnes
und Schlußvermögens vermag auch mächtigen Einfluß ans die sittliche
Haltung des Menschen auszuüben; denn indem ein mutiges Selbst¬
vertrauen in ihm erwacht, wirkt dasselbe auch auf die Gewinnung einer
sittlichen Gesinnung wohlthätig zurück, macht ihn umsichtig
und besonnen in seinen Entschließungen und ausdauernd und
treu im Handeln." (Prof. Kern.)
Von besonderer Wichtigkeit ist die praktische Seite des Rechnens.
Kellner sagt: „Der Rechennnterricht hat für das Leben zu bilden und
diejenige Fertigkeit im Verkehr mit der Zahl zu erstreben, welche int
allgemeinen von jedem verlangt werden muß, der in der bürgerlichen
Gesellschaft lebt." Es giebt keine bürgerliche Existenz bis zum schlichtesten
Arbeiter, bei der sich nicht ein Mangel in der Rechenkunst in unseren!
so vorwiegend materialistischen Zeitalter empfindlich rächen würde.
Nach A. Büttner ist die Ausgabe des R e ch e n u n t e r r i ch t s
eine zweifache: 1. Die Kinder sollen die Rechenfertigkeit erlangen, welche
das Leben von ihnen fordert; 2. die Kinder sollen durch das Rechnen-
denken und sprechen lernen.
Or. Schütze stellt in seiner „Ev. Schulkunde" folgende Grund¬
sätze für den elementaren Rechenunterricht ans:
1. Auch für das Rechnen ist die Anschauung das ab¬
solute Fundament aller Erkenntnis.
Die Zahl ist an sich a b st r a k t, das Rechnen selbst als Operation
mit Zahlvorstellungen auch abstrakt. Soll das Kind rechnen lernen, so
muß man ihm vor allem zu Z a h l v o r st e l l n n g e n verhelfen. Vom
Konkreten zum A b st r a k t e n, das ist auch hier der Weg der Natur.
Das Kind lernt also die Zahl und das Zählen an konkreten Dingen.
Um dem Princip der Anschaulichkeit zu genügen, bedarf es eben der
Anschauungsmittel. Man glaube jedoch nicht, daß dieselben je
künstlicher sie sind, desto mehr ihrem Zwecke entsprechen: mindestens sind
die allzu künstlichen und daher meist kostspieligen Apparate überflüssig.
2. Man gehe im Re ch en un terrich t st e tig vom Ein¬
fachen zum Z n s a m ni e n g e s e tz t e n , v o ni Leichten z u m
Schweren, vom Bekannten zum Unbekannten.