I.
n dem Gebiete zwischen der Michaelisstraße und dem Valen¬
tinskamp liegt noch ein Netz enger Gassen, das im volks¬
munde allgemein als das Gängeviertel bezeichnet wird.
Zrüher waren hier noch mehr Gänge als heute. Um Licht
und Lust eindringen zu lassen, legte man erst die Wexstraße
quer hindurch und später noch die Uaiser Wilhelm-Straße.
Diese Gegend hat trotz allem eine Menge eigenartiger Ueize. Das
Zusammenleben der Menschen hat hier noch etwas Dörfliches an sich. Da
sie so eng beieinander wohnen, daß oft nur dünne Holzbretter sie trennen,
da es sich lediglich um Leute aus den ärmeren Volksklassen handelt, die
von der Not der Zeit zuerst und ziemlich gleichmäßig berührt werden und
da die Mieter vielfach sehr lange in der Wohnung bleiben — noch heute
kommt es vor, daß in den „Buden" oder „Zählen" alte Leute Hausen, deren
Eltern schon dort geboren wurden —, so kennt jeder die Verhältnisse des
andern sehr genau und nimmt Unteil daran im guten und im schlechten Zinne.
Eigenartig wie das Zusammenleben dieser Menschen ist auch ihre Um¬
gebung. Da sich der Weg fortwährend windet, so erblickt das Buge bei
jedem neuen Zchritt ein anderes malerisches Bild. Dazu kommt noch, daß
auch die einzelnen Häuser als solche auffallen. Zie sind alt und schief, aus
hölzernem Zachwerk mit Ziegelfüllung errichtet. Und alle haben sie ein
Dach, das schon von weitem zu sehen ist,- die Dächer namentlich schieben
sich zu interessanten Ztellungen zusammen, und jeder weitere Zchritt,
den wir in dies sonderbare Land hineintun, zeigt sie uns in einem anderen
Verhältnis. Alle Häuser sind mit verwitterten Pfannenziegeln bedeckt;
nirgend erblicken wir Pappdächer. Auffallend ist das sonderbare vorkragen
fast jeden Ztockwerkes über das untere, so daß oft das ganze Haus sich
vornüberneigt.
Unsere Zeit pflegt besonders die Volksgesundheit: Licht und Luft müs¬
sen überall hineindringen können; deshalb werden die neuen Ztraßen
breit angelegt und Lichthöfe hinter und zwischen den Häusern vorgeschrie¬
ben. Die alten Ztraßen aber werden nach Möglichkeit breiter gemacht
oder — wie es in der Zchaarmarktgegend bereits geschehen ist — gänz¬
lich beseitigt. Dabei geht aber auch der hauch von Poesie verloren, der
diese alten Gänge und Häuser umweht. Dabei verschwinden auch die Zpuren,
die von der Geschichte unserer Heimat hier hinterlassen worden sind. Wir
Hamburger von heute, alt und jung, die wir die letzten Lebenstage des
Gängeviertels noch miterleben, sollten mit vollen Zügen noch schnell die
malerische Schönheit dieser Gegend zu genießen suchen. Unsere Nachkom¬
men werden das nicht mehr können, — unsere Üinder und Uindeskinder
aber werden einst zu unsern Züßen sitzen und sich vom alten Hamburg
erzählen lassen. Dann beginnen wir, wie es Großmutter tat, mit denNo full text available for this image
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