Full text: Lesebuch zur deutschen Staatskunde (Nr. 48)

7. Selbstverwaltung 
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keinerlei staatsrechtliche Bedeutung, ihr Bestand wird von 
der Rechtsordnung geflissentlich übersehen. Sie besteht nur 
tatsächlich als eine politische Erscheinung. — Die in Deutsch¬ 
land übliche Bezeichnung für die Volksvertretung des Einzel¬ 
staates ist die des Landtags. 
Bornhak, Grundriß, S. 60ff. 
7. Die Selbstverwaltung 
Der Begriff der Selbstverwaltung ist in der deutschen 
Literatur ursprünglich ein rein politischer gewesen, er be¬ 
ruhte auf der Reaktion gegen den durch das konstitutionelle 
System verschuldeten Ministerial-Despotismus. Die Minister¬ 
verantwortlichkeit gegenüber dem Landtage vernichtet die 
Selbständigkeit und freie Entscheidung aller dem Minister 
untergebenen Behörden und Beamten, da ja er und er 
allein für die Verwaltung seines Ressorts „die Verant¬ 
wortung" trägt. Hat der Minister die Majorität des Land¬ 
tags auf seiner Seite oder ist er selbst der Führer und Ver¬ 
trauensmann der herrschenden Partei, so ist er hinsichtlich 
seiner Verantwortlichkeit gedeckt, und je rücksichtsloser er im 
Interesse und nach den politischen Anschauungen seiner Partei 
handelt, desto mehr ist sie mit ihm zufrieden. Dieser Mi߬ 
stand wurde in Preußen durch das reaktionäre Ministerium 
in den Jahren 1862—1859, also kurz nach Einführung der 
konstitutionellen Verfassung, in schärfster Weise zum allge¬ 
meinen Bewußtsein gebracht. Diese rücksichtslose Partei¬ 
regierung entsprach dem konstitutionellen Ideal vollkommen, 
da sie die überwiegende Mehrheit beider Häuser des Landtags 
auf ihrer Seite hatte. Um dieser üblen Folge des Konsti- 
tutionaüsmus entgegenzuwirken, suchte man Mittel gegen 
dieselbe. Dafür war an und für sich jed e Einrichtung geeignet, 
welche die Zuständigkeit und Machtbefugnis des Ministers 
beschränkt. Die hierzu dienenden Mittel sind sehr zahlreich 
und von sehr verschiedenem juristischen Charakter. Da sie 
aber alle demselben politischen Zwecke dienen, nämlich dem 
konstitutionellen Ministerabsolutismus Schranken zu setzen 
und die Gefahr einer rücksichtslosen Gesetzesinterpretation 
zu verhüten, so hat man sie unter einen und denselben poli¬ 
tischen Gesichtspunkt gebracht, sie zu einem „System" ver¬ 
einigt. Dafür brauchte man auch einen einheitlichen Aus¬ 
druck, ein politisches Schlagwort. Unter dem Einfluß von
	        
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