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lyrischen Gedichten, muß ein Vortrag durch den Lehrer der Besprechung voraus¬
gehen. Dann wird es ihm leichter möglich sein, das Ziel einer eingehenden (stata-
rischen) Behandlung zu erreichen. Kurz angegeben ist dieses Ziel: guter Lesevvr-
trag, guter Sprachvortrag, guter Schriftvortrag. Hat der Lehrer die Absicht, das
Gedicht oder dergleichen lernen zu lassen, so muß auch er es frei vortragen.
Immerhin aber dürfte es sich empfehlen, das aufgeschlagene Buch dabei zur Hand
zu haben. Auch Stücke in ungebundener Redeweise sind durch den Lehrer vorzu¬
lesen, wenn sie den Zweck verfolgen, einen dauernden Eindruck auf die Kinder zu
machen. Gut vorgetragen ist halb erklärt! Die Sprache des Lehrers sei laut,
langsam und lieblich. Laut, damit sie gehört, langsam, damit sie verstanden, und
lieblich, damit sie sich um die Seelen schwinge. Bei Stoffen andenr Inhalts ist
ein Vorlesen nicht unbedingt notwendig. Empfehlen thut sich aber, vor der Be¬
handlung in der Schule als häusliche Arbeit den Kindern das Durchlejen aufzu¬
geben. Sind die Kinder noch nicht mit dem Inhalt der zu behandelnden Stücke
bekannt, so lesen sie oft während der Besprechung im stillen weiter. Durch einige
Fragen nach dem Inhalt kann sich der Lehrer vor der eigentlichen Behandlung
leicht überzeugen, ob zu Hause gelesen worden ist. In einklassigen Schulen kann
das Durchlesen als stille Beschäftigung stattfinden. Mit der Vorbereitung, Ziel¬
angabe und Darbietung im besonderen findet die Anschauungsoperation ihren
Abschluß.
b) Entwicklung der Gliederung.
Das Folgende enthält die eigentliche Bearbeitung des Stoffes, mit der die
Denkoperation beginnt. An dieser Stelle möchte ein kurzes allgemeines Wort
über die Art und Weise der Behandlung am Platze sein. Zweck der gesamten
Besprechung ist die Vertiefung in den Inhalt des zu behandelnden Stückes, die
Förderung der Begründung und Urteilsbildung. Die Wort- und Sacherklärung
hat hierbei stattzufinden, doch ohne ein Zerpflücken des Inhalts herbeizuführen.
Verwandte Stoffe werden herangezogen (siehe Verknüpfung), die notwendigen
Charakterzüge, die später zu einer Charakterzeichnung der ini behandelten Stofs
auftretenden Personen (siehe Charakteristik der Personen) zusammengefaßt werden,
werden hervorgehoben und gemerkt, die Idee oder der sittlich-religiöse Grund¬
gedanke zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Behandlung hindurch.
Ein grober Fehler wäre es, die Antworten der Kinder zu unterdrücken. Erst das
Kind ausreden lassen und dann an das Verbessern des Gesagten gehen. Hierbei
muß wieder zuerst die Klasse arbeiten und erst in zweiter Reihe der Lehrer ein¬
helfen. Kommt das gewünschte Wort nicht, so gebe man es setzt.
Oft wirkt in dem Gang der Besprechung ein einziger fördernder Gedanke wie
ein Ruderschlag, der den Nachen wieder flott macht. Ja, die rechtzeitige Einfügung
eines förderirden Gedankens dient zur Belebung der Lektion. Ost wiegt auch eine
Geste ein Dutzend Fragen auf. Das ganze Geheimnis der Kunst zu fragen be¬
steht eigentlich in der geschickten Anwendung des einfachen Satzes, doch ohne Fort-
lassung der besonderen Bestimmung. Die Form der Frage muß wechseln; denn
durch eine solche Variation in der Form der Fragerr wird der Sprachschatz der
Kinder entschieden bereichert.
Seidel, Das vierte Schuljahr.
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