Full text: Das vierte Schuljahr

385 
lyrischen Gedichten, muß ein Vortrag durch den Lehrer der Besprechung voraus¬ 
gehen. Dann wird es ihm leichter möglich sein, das Ziel einer eingehenden (stata- 
rischen) Behandlung zu erreichen. Kurz angegeben ist dieses Ziel: guter Lesevvr- 
trag, guter Sprachvortrag, guter Schriftvortrag. Hat der Lehrer die Absicht, das 
Gedicht oder dergleichen lernen zu lassen, so muß auch er es frei vortragen. 
Immerhin aber dürfte es sich empfehlen, das aufgeschlagene Buch dabei zur Hand 
zu haben. Auch Stücke in ungebundener Redeweise sind durch den Lehrer vorzu¬ 
lesen, wenn sie den Zweck verfolgen, einen dauernden Eindruck auf die Kinder zu 
machen. Gut vorgetragen ist halb erklärt! Die Sprache des Lehrers sei laut, 
langsam und lieblich. Laut, damit sie gehört, langsam, damit sie verstanden, und 
lieblich, damit sie sich um die Seelen schwinge. Bei Stoffen andenr Inhalts ist 
ein Vorlesen nicht unbedingt notwendig. Empfehlen thut sich aber, vor der Be¬ 
handlung in der Schule als häusliche Arbeit den Kindern das Durchlejen aufzu¬ 
geben. Sind die Kinder noch nicht mit dem Inhalt der zu behandelnden Stücke 
bekannt, so lesen sie oft während der Besprechung im stillen weiter. Durch einige 
Fragen nach dem Inhalt kann sich der Lehrer vor der eigentlichen Behandlung 
leicht überzeugen, ob zu Hause gelesen worden ist. In einklassigen Schulen kann 
das Durchlesen als stille Beschäftigung stattfinden. Mit der Vorbereitung, Ziel¬ 
angabe und Darbietung im besonderen findet die Anschauungsoperation ihren 
Abschluß. 
b) Entwicklung der Gliederung. 
Das Folgende enthält die eigentliche Bearbeitung des Stoffes, mit der die 
Denkoperation beginnt. An dieser Stelle möchte ein kurzes allgemeines Wort 
über die Art und Weise der Behandlung am Platze sein. Zweck der gesamten 
Besprechung ist die Vertiefung in den Inhalt des zu behandelnden Stückes, die 
Förderung der Begründung und Urteilsbildung. Die Wort- und Sacherklärung 
hat hierbei stattzufinden, doch ohne ein Zerpflücken des Inhalts herbeizuführen. 
Verwandte Stoffe werden herangezogen (siehe Verknüpfung), die notwendigen 
Charakterzüge, die später zu einer Charakterzeichnung der ini behandelten Stofs 
auftretenden Personen (siehe Charakteristik der Personen) zusammengefaßt werden, 
werden hervorgehoben und gemerkt, die Idee oder der sittlich-religiöse Grund¬ 
gedanke zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Behandlung hindurch. 
Ein grober Fehler wäre es, die Antworten der Kinder zu unterdrücken. Erst das 
Kind ausreden lassen und dann an das Verbessern des Gesagten gehen. Hierbei 
muß wieder zuerst die Klasse arbeiten und erst in zweiter Reihe der Lehrer ein¬ 
helfen. Kommt das gewünschte Wort nicht, so gebe man es setzt. 
Oft wirkt in dem Gang der Besprechung ein einziger fördernder Gedanke wie 
ein Ruderschlag, der den Nachen wieder flott macht. Ja, die rechtzeitige Einfügung 
eines förderirden Gedankens dient zur Belebung der Lektion. Ost wiegt auch eine 
Geste ein Dutzend Fragen auf. Das ganze Geheimnis der Kunst zu fragen be¬ 
steht eigentlich in der geschickten Anwendung des einfachen Satzes, doch ohne Fort- 
lassung der besonderen Bestimmung. Die Form der Frage muß wechseln; denn 
durch eine solche Variation in der Form der Fragerr wird der Sprachschatz der 
Kinder entschieden bereichert. 
Seidel, Das vierte Schuljahr. 
25
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.