fullscreen: Von Goethe bis zur Gegenwart (Band 2, [Schülerband])

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incht ihrer Masse zu unterliegen, der erhabenen Bestimmung des 
Menschen eingedenk, den Geist der Natur zu ergreifen, welcher unter 
der Decke der Erscheinungen verhüllt liegt. Auf diesem Wege reicht 
unser Bestreben über die enge Grenze der Sinnenwelt hinaus, und 
es kann uns gelingen, die Natur begreifend, den rohen Stoff empirischer 
Anschauung gleichsam durch Ideen zu beherrschen. 
Wenn wir zuvörderst über die verschiedenen Stufen des Genusses 
nachdenken, welchen der Anblick der Natur gewährt, so finden wir, 
daß die erste unabhängig von der Einsicht in das Wirken der Kräfte, 
ja fast unabhängig von dem eigentümlichen Charakter der Gegend ist, 
die uns umgibt. Wo in der Ebene, einförmig, gesellige Pflanzen 
den Boden bedecken und auf grenzenloser Ferne das Auge ruht, wo 
des Meeres Wellen das Ufer sanft bespülen und durch Ulven und 
grünenden Seetang ihren Weg bezeichnen: überall durchdringt uns 
das Gefühl der freien Natur, ein dumpfes Ahnen ihres „Bestehens 
nach inneren, ewigeil Gesetzen." In solchen Anregungen ruht eine 
geheimnisvolle Kraft; sie sind erheiternd und lindernd, stärken und 
erfrischen den ermüdeten Geist, besänftigen oft das Gemüt, wenn es 
schmerzlich in seinen Tiefen erschüttert oder vom wilden Drange der 
Leidenschaften bewegt ist. Was ihnen Ernstes und Feierliches bei¬ 
wohnt, entspringt aus dem fast bewußtlosen Gefühle höherer Ordnung 
und innerer Gesetzmäßigkeit der Natur; aus dem Eindrücke ewig 
wiederkehrender Gebilde, wo in dem Besondersten des Organismus 
das Allgemeine sich spiegelt; aus dem Kontraste zwischen dem Sinnlich- 
Unendlichen und der eigenen Beschränktheit, der wir zu entflieheil 
streben. In jedem Erdstriche, überall wo die wechselnden Gestalten 
des Tier- und Pflanzenlebens sich darbieten, auf jeder Stufe intellektueller 
Bildung sind dem Menschen diese Wohltaten gewährt. 
Ein anderer Naturgenuß, ebenfalls nur das Gefühl ansprechend, 
ist der, welchen wir, nicht dem bloßen Eintritt in das Freie (wie 
wir tief bedeutsam in unserer Sprache sagen), sondern dem individuellen 
Charakter einer Gegend, gleichsam der physiognomischen Gestaltung 
der Oberfläche unseres Planeten verdanken. Eindrücke solcher Art 
sind lebendiger, bestimmter und deshalb für besondere Gemütszustände 
geeignet. Bald ergreift uns die Größe der Naturmassen im wilden 
Kampfe der entzweiteil Elemente oder, ein Bild des Unbeweglich- 
Starren, die Öde der unermeßlicheii Grasfluren und Steppen, lote 
in dem gestaltlosen Flachlaiide der Neuen Welt und des nördlicheii 
Asiens; bald fesselt uns, freundlicheren Bilderll hingegeben, der An¬ 
blick der bebauten Flur, die erste Ansiedelung des Menschen, von 
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