Full text: Lesebuch für ländliche Fortbildungsschulen

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I. Der Bauernstand sonst und jetzt. 
auf der Weide und das galoppierende Füllen, Waldesgrün mid Wiesen¬ 
duft eine Erquickung des Herzens; aber kräftiger, stolzer, edler ist das 
Behagen des Mannes, der mit dem Bewußtsein über seine Flur 
schreitet: dies ist alles mein; meine Kraft erschuf es, und mir ge¬ 
reicht es zum Segen. Denn nicht in mühelosem Genuß betrachtet 
er die Bilder, welche ihm die Natur entgegenhält. An jeden Blick 
knüpft sich ein Wunsch, an jeden Eindruck ein Vorsatz, jedes Ding 
hat für ihn einen Zweck; denn alles, das fruchtbare Feld, das Tier 
und der Mensch, soll Neues schaffen nach seinem Willen, dem Willen 
des Gebieters. Die tägliche Arbeit ist sein Genuß, und in diesem 
Genusse wächst seine Kraft. — So lebt der Mann, welcher selbst 
der arbeitsame Wirt feines Gutes ist. 
Und dreimal glücklich der Herr eines Grundes, auf dem durch 
mehrere Menscheualter ein starker Kampf gegen die rohen Launen der 
Natur geführt ist. Die Pflugschar greift tief in den gereinigten 
Boden; anspruchsvolle Kulturpflanzen breiten ihre Blätter in üppiger 
Pracht; auf den Stengeln bräunen sich große Dolden und körnerreiche 
Schoten, und unten in der Erde rundet sich mächtig die fleischige 
Wurzel. Darm kommt die Zeit, in der sich die kunstvolle Judustrie auf 
den Ackerschollen ansiedelt. Dann ziehen die abenteuerlichen Gestalten 
der Maschinen nach dem Wirtschaftshof; der ungeheure Kupferkessel 
fährt mit Blumen bekränzt heran; große Räder mit hundert Zähnen 
drehen sich gehorsam im Kreise; lange Röhren verschlingen sich in 
den neugebauten Räumen, und die mechanischen Gelenke bewegen sich 
rastlos bei Tag und Nacht. Eine edle Industrie! Sie erblüht aus 
der Kraft des Bodens und vergrößert wieder diese Kraft. Wo der 
eigene Grund des Gutes seine Früchte der Fabrik reichlich spendet, da 
arbeiten im Freien die uralte Pflugschar, im gemauerten Haus der 
neue Dampfkessel brüderlich miteinander, um ihren Herrn reicher zu 
machen, stattlicher und weiser. So lange er nur die alten Halmfrüchte 
baute, die grüne Nahrung der Tiere und die runde Knollenfrucht, 
waren die Preise auf dem nächsten Wochenmarkte vielleicht das, was 
ihn in der fremden Welt am meisten interessierte, und wenn der 
Bauer im Dorfe gegen ihn auftrumpfte, so war ihm das vielleicht der 
größte Ärger, Und mit abschließendem Stolze sah er aus seinem 
umgrenzten Kreise, wie in die blaue Ferne hinein, in das geschäftige 
Treiben der großen Städte, in die verwickelten Verhältnisse, welche 
durch eine neue Zeit geschaffen sind. Jetzt steht er selbst mitten 
zwischen den Rädern des modernen Schaffens; er beobachtet viele 
Strömungen des menschlichen Geistes auch außerhalb seiner Feldmark. 
Viele Gesetze des Lebens lernt er kennen und viele Gedanken der 
Menschen; er gewinnt einen andern Maßstab für den Wert des 
Mannes, jetzt, wo er das Gewühl des Marktes, das Arbeitszimmer 
des Gelehrten auch für sich braucht. Er knüpft seine Fäden an Leute 
von anderem Berufe, und Fremde freuen sich, ihm die Hand zu reichen 
und ihren Vorteil mit dem seinigen zu verbinden. Immer größer 
werden die Kreise, in welche ihn sein Interesse zieht, immer mächtiger 
der Einfluß, den er auf andere gewinnt.
	        
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