Gesetzqebungs- und Iustizpolitik.
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vorher wirksam gewesen sein. Diese schöpferisch gestaltende
Tätigkeit, die auf die Schaffung des Gesetzes hinauskommt, ist
nichts weiter als politisches Handeln. Mag das Bedürfnis
einzelner Gesellschaftsschichten oder Parteien, das Interesse be¬
stimmter Berufe oder die Gewalt geistiger Strömungen zu
einem Gesetze geführt haben, so liegt schon in diesem zeitlichen
Zuvorkommen dieses Bedürfnisses und dieser Strömungen, daß
die Gesetzgebung und die auf sie gerichtete politische Tätigkeit
nicht dasselbe sein können. Eine politische Handlung war z. B.
die Summe aller derjenigen Bestrebungen und Handlungen, die
auf die Vorlegung von Entwürfen zur Reichsversicherungsord-
nung vorn ^9. Juli Zur Elsaß-Lothringischen Verfassung
vom Zv Mai J9U irrt Reichstag, des Volksschulunterhaltungs¬
gesetzes vom 28. Juli ^906, des Lehrerbesoldungsgesehes vom
26. Mai ^909, des Anappschaftsgesetzes vom \7. Juni ^9^2
im preußischen Landtag abzielten. Der gesetzgeberische Akt
aber, der formeller Natur ist, besteht nur in der Annahnte des
Gesetzes. Durch diese Betrachtung gelangen wir zu dem Begriff
der Gesetzgebungspolitik. Gesetzgebung ist die Rechtsnormen
schaffende staatliche Tätigkeit; die GesetzgebungsPolitik ist
die zum Zwecke dieser Betätigung im einzelnen Falle vorge¬
nommene Tätigkeit, insbesondere, wenn sie von dem Staate
selbst oder seinen Leitern ausgeht. Das Wehrbeitragsgesetz
vom 3. Juli ^9^3 ist ein legislatorischer Akt gewesen; die schöpfe¬
rische Tätigkeit aber, welche vor Erlaß dieses Gesetzes darauf
gerichtet war, dem Deutschen Reich finanziellen Schutz auch durch
diese eigenartige Steuerform zu gewähren, war Gesetzgebungs¬
politik. Dies die Beziehung zwischen Politik und Gesetzgebung.
Dagegen ist ein Verhältnis zwischen Politik und Justiz nur
insofern gegeben, als eine richtige und zweckmäßige Gerichts¬
organisation und Justizverwaltung eine politische Frage ersten
Ranges ist. Aber nur eine solche Iustizpolitik gibt es. Ins¬
besondere kann es keine Rechtsprechungspolitik geben. Die
Judikatur besteht im wesentlichen in der Anwendung gegebener
Vorschriften und Regeln. Zwar kann die Justiz schöpferisch wirken.
Der Gerichtsgebrauch ist eine besonders in neuerer Zeit sehr be¬
deutsame Rechtsquelle. Aber immer geschieht dies in Auslegung
und Erweiterung des Rechtsgedankens, der in der Gesetzesvorschrift
niedergelegt ist. Der Richter darf nicht an dem Gesetze mäkeln,
auch wenn er es für unnütz und schädlich hält; er muß es an-