Politik und Justiz. 
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bürgerlichen Rechtsstreitverfahren, auf den Be- und Ange¬ 
schuldigten, auf den Angeklagten im Strafgerichtsverfahren 
aus politischen Gründen überträgt. Man denke an eineu 
streng konservativen Richter, der einen für seine Partei heftig 
werbenden Sozialdemokraten vor sich hat, oder einen schwach 
besoldeten Amtsrichter an der russischen Grenze, der sich mit 
einem straffälligen Krösus zu befassen hat. Überall ist nach dem 
Gesetze zu verfahren. Die politische Erwägung etwa, es sei 
dem Staate nur nützlich, wenn „solche Aufrührer und Um- 
sturzleute" länger als andere hinter Schloß und Riegel gebracht 
würden, erscheint unzulässig. Die Loyalität des Richters kann sich 
überall und auch im Gerichtssaale zeigen; der Richter darf aber 
nicht gegenüber einem frechen Majestätsbeleidiger seine eigenen 
empörten Empfindungen als überzeugter Monarchist bei dem 
Urteil mitspielen lassen. Der Anarchist darf nicht aus politi¬ 
schen Gründen schlechter behandelt werden als ein anderer, 
dem dieselbe Straftat zur Last fällt, freilich wird hier im ein¬ 
zelnen viel gesündigt, und zwar bei der Bestimmung des Straf¬ 
maßes. Daß sogenannte Justizmorde vorkommen, ist bei 
unserer menschlichen Unvollkommenheit kaum zu vermeiden, 
wenn auch die Zahl auf eine verschwindend geringe herab¬ 
gedrückt werden muß. Daß auch in der richtigen Handhabung 
des Strafmaßes ein Gerechtigkeitsmaßstab liegt, wird nicht zu 
verkennen sein. Die meisten Vorwürfe, die man heutzutage in 
dem Ausdrucke „Klassenjustiz" zusammenzufassen pflegt, be¬ 
ziehen sich weniger auf die Frage des „Schuldig" oder „Nicht¬ 
schuldig", als vielmehr auf die des Strafmaßes. Gleichmäßige 
Rechtsprechung ist Erfordernis der Gerechtigkeit. Es liegt hier 
ein schweres Problem vor, dessen Lösung sehr viel Takt und 
feines Rechtsgefühl verlangt. „Das Wesen der Rechtspflege ist 
folgerichtige, in gleichen Fällen gleiche Anwendung des Rechtes; 
das Wesen der Politik ist ein anderes, es richtet sich in jedem 
Falle nach den Umständen, kann daher in gleichen Fällen sehr 
ungleich sein. Ist Konsequenz die Hauptforderung einer guten 
Rechtspflege, fo ist umgekehrt Inkonsequenz unter Umständen 
die größte politische Tugend" (Schollenberger). Dies zur Frage 
des Verhältnisses zwischen Politik und Justiz. 
Endlich ist die Beziehung zwischen der dritten Staatsfunktion, 
der Verwaltung, und der praktischen Politik zu untersuchen. Die 
Verwaltung ist zunächst Ausführung der Gesetze, soweit diese
	        
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