Spätere Entstehung des Vaterrechts. 
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einer Verwandtschaft beider Erscheinungen von selber auf. 
Überaus wichtig ist ferner, daß mancherlei historisch unzweifel¬ 
hafte Tatsachen des Familien-, Gemeinde- und Staatslebens 
besonders im klassischen Altertum durch die Theorie des Mutter- 
rechtes die bei unserem Problem überhaupt mögliche Aufklärung 
finden. Daß die gesellschaftliche Ordnung wohl nirgends ohne 
fremden Einfluß aus sich heraus zuur Vaterrecht sich entwickelt 
hat, ist richtig. Doch beweist dies nichts gegen das Mutterrecht; 
ohne fremden Einfluß würde vielleicht der Fortschritt zum Matri¬ 
archat nicht oder nicht so bald oder in anderer Art, wie geschehen, 
erfolgt sein. Der von den Gegnern des Mutterrechtes geforderte 
Beweis, daß dieses die allgemeine Form und eine überall not¬ 
wendig gewesene Entwicklungsstufe in der Geschichte der Familie 
war, kann nicht geführt werden, jedenfalls gewährt uns aber 
die bisherige Forschung die größte Wahrscheinlichkeit dafür, daß 
nicht Mann und Weib, sondern Mutter und Rind die Urkeime 
der Familie darstellen. Der natürlichen Volksphysiologie schien 
eine Blutsverwandtschaft nur zwischen der Mutter und ihrem 
Rinde zu bestehen. Der Vater ist ursprünglich gar nicht fest¬ 
zustellen. Er wird gar nicht als Erzeuger gedacht, sondern — erst 
in späterer Zeit — als Beschützer, als Erwerber des Lebens¬ 
unterhalts. Zuerst wurde der Lebensunterhalt von der Frau 
aufgebracht, durch ihre stete für das Hauswesen des Geschlechts 
oder der Gruppe geleistete Arbeit. Der Mamr steuerte nur mit 
den unsicheren Erträgen der jagd und Fischerei zu den Bedürf¬ 
nissen des Lebens bei. Die Frau war hiernach die wirtschaftlich 
produktivere, und das mag ihr eine freiere Stellung gewährt 
haben. Diese Tatsache ist nicht hinwegzudenten. jene Auf¬ 
fassung von der Blutsverwandtschaft, also ein rein gedankliches 
Moment, wirkt zusammen mit einem wirtschaftlichen: der 
Lebensfürsorge durch die Frau. Diese beiden Momente erklären 
ausreichend die Mutterfolge, d. h. die Erbfolge von der Mutter 
auf deren Rinder und auf diejenigen, die mit der Mutter dieselbe 
Mutter haben. Der Schwiegersohn zieht während der Geltung 
des entwickelten Mutterrechtes in den allermeisten Fällen zur 
Schwiegermutter ins bjaus und mehrt dadurch ihre wirtschaftlichen 
Rräfte, ihren Einfluß, ihre Macht. Nachdem der Übergang zur 
seßhaften Lebensweise stattgefunden hatte, mußte sich dieser Ein¬ 
fluß der Schwiegermutter stärken, ja die wirtschaftliche Funk¬ 
tion der Frau verbindet sich bald mit einer idealen. Die Frau
	        
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