Familie und Staat.
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Einehe, wie sich diese aus der Vielweiberei oder Vielmännerei
erhebt, ist örtlich und zeitlich verschieden. Es wirken religiöse,
ethische, klimatische, politische, wirtschaftliche und physische
Motive mit. Ich brauche bloß die zwei letzten einigermaßen zu
erklären. Das wirtschaftliche Motiv lag darin, daß bei den bisher
polygamischen Gruppen die materiellen Mittel zur Erhaltung
mehrerer Weiber fehlten und anderseits bei den polyandrischen
Gruppen, welche immer als ein Zeichen wirtschaftlicher Armut
gelten können, die materiellen Verhältnisse sich gebessert haben,
was das physische Motiv anlangt, so kann ich hier nur andeuten,
daß es sich offenbar um eine teilweise Degeneration und Impotenz
der Männer gehandelt haben muß, oder daß sie ihre Körper¬
kräfte in anderer weise als in dem Familienleben betätigen
wollten. Nach menschlichem Ermessen gibt es nun keine Ehe¬
form über die Einzelehe hinaus mit ihrer individuellen Gatten¬
liebe, mit der grundsätzlichen Forderung der Unlösbarkeit und
Ausschließlichkeit. Die Einzelehe ist eine lebenslängliche Gemein¬
schaft, gerichtet auf das innigste Zusammenleben und treues
opferwilliges Zusammenwirken für ernste Lebensaufgaben. Auf
ihr baut sich das häusliche Leben auf, ohne sich in den beider¬
seitigen Rechten und pflichten der Ehegatten zu erschöpfen.
Sie ist die Voraussetzung des Eltern- und Kindesverhältnisses
mit seiner enormen Bedeutung für das Recht, die Gesellschaft
und den Staat. Ehe, Eltern- und Kindesverhältnis zusammen
bilden das Familienleben.
Nach alledem ist die Bedeutung der Familie für den Staat die¬
selbe wie die einer Urzelle für den Körper. Ohne sie ist ein Staat
nicht denkbar. Nur eine Familie, die zusammengehalten wird
durch die Bande gemeinsamer Interessen, durch eine religiöse,
sittliche lebensbejahende Weltanschauung, die gesunde und natür¬
liche Lebensweise betätigt, bildet die sichere Grundlage des
Staates. Von der Familie geht alle ethische Gesamtauffassung,
alle gemeinschaftliche Kultur aus. Die Familie liefert dem Staate
die gebärfähigen Mütter, die werktätigen und die wehrfähigen
Männer. Sie befördert in ihren Zusammenschlüssen, in ihrer
Verbindung mit anderen gleichgearteten Familien das Wohl des
Staates, indem sie ihr eigenes Wohl befördert. Egoismus und
Altruismus fließen hier wunderbar zusammen. Im warmen
Schoße der Familie, nicht in der kalten Öffentlichkeit können auch
die für den Bestand und das Blühen des Staates unentbehr-