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des Geschichtsunterrichts ist die Bezeichnung „kulturhistorische Stoffe" durchaus
zutreffend; nur bleibt dabei verdeckt, daß es sich um gesellschaftliche Kultur¬
werte handelt und zwar, was hier eine Hauptsache ist, auch für die Gegenwart.
Der Name „Gesellschaftskunde" hebt gerade diese Seite hervor; freilich bleibt
dann wieder ungesagt, daß es sich um Kulturgüter handelt. Hätte Ziller uns
mit einer Zusammenstettung und begrifflichen Ordnung der kulturhistorischen
Stoffe beschenkt, so würde die sociale Bedeutung der Sache jedem sofort in die
Augen gefallen sein. Für meine Person bedauere ich diese Lücke in seinen prak¬
tischen Schriften auch deshalb, weil ein Vorversuch von seiner kundigen Hand mir
viele Mühe erspart haben würde, — ungerechnet, daß dann das ermöglichte Ver¬
gleichen zweier Versuche jedem Teile zu gute gekommen wäre. Auch in diesem
Betracht müssen wir praktischen Schularbeiter das frühe Hinscheiden dieses päda¬
gogischen Forschers betrauern. Möglicherweise hat er, nachdem mein „Repetitorium"
bereits vorlag, eine Bearbeitung der elementaren Gesellschaftskunde seinerseits einst¬
weilen nicht für nötig gehalten.*)
Betrachten wir jetzt die Frage, was der gesellschaftskundliche (oder kultur¬
historische) Stoff eigentlich ist und bezweckt, noch von einem höheren, all¬
gemeineren Standpunkte.
Was die Schulsprache aus dem sachunterrichtlichen Gebiete „Lehrgegenstände"
nennt (Religion, Geschichte samt Geographie, Naturkunde), das ist bekanntlich in
jedem Falle eine Stoffauslese aus mehreren Wissenschaften, die dann als ein
untcrrichtliches Ganzes betrachtet und behandelt wird. So besteht der religions-
unterrichtliche Stoff aus: biblischer Geschichte, Kirchenliedern, Bibelsprüchen, Kate¬
chismus u. s. w.; der humanistische aus: Geschichte und politischer Geographie,
wobei an geeigneter Stelle auch epische und andere Gedichte als Begleitstosfc
herangezogen werden; der naturkundliche aus Bestandteilen der Astronomie, der
physischen Geographie, der Mineralogie, Botanik und Zoologie, der Physik u. s. w.
Nach meiner Auffassung hat im humanistischen Realunterricht die Geschichte als
Centralstoff zu gelten, während die politische Geographie und die Gedichte
als Begleitstofse anzusehen sind. Frage: welches ist denn nun der Zweck
des humanistischen Realunterrichts, und warum soll die Geschichte den Central¬
stoff bilden? Nach der altherkömmlichen Auffassung galten hier Geschichte und
Geographie als zwei gesonderte, selbständige Lehrfächer; von einem Centralstoffe
war nicht die Rede, wenn man auch die Geschichte als das wichtigere Fach be¬
trachtete. Warum dies ein Fehler ist, wird sich zeigen, wenn wir der oben
*) Über die Bedeutung Zillers (und Herbarts) für die Pädagogik vgl. meine Schrift:
„Der didaktische Materialismus. Eine zeitgeschichtliche Betrachtung
und eine Buchrecension". 2. Ausl. (Gütersloh, C. Bertelsmann.) — Diese Schrift
behandelt auch die bekannte überbürdnngsfrage: siedeckt die eigentliche Grundursache
dieses Übels auf.