51
war mit einem Male alle Freude von ihnen gewichen. Auch zu
dem Könige Siegmund kam der Bote und sprach: „Wachet auf,
Herr Siegmund, und gehet schnell zu meiner Herrin Kriemhild;
Siegfried, der kühne Held von Niederland, liegt erschlagen." Gar
sehr erschrak da Siegmund; schnell sprang er aus dem Bette und
griff nach seinen Waffen. Das Gleiche thaten hundert seiner
Mannen, und so gewaffnet eilten sie dahin, von wo der Weherus
ertönte und wo sich schon tausend Helden Siegfrieds eingefunden
hatten, denen großes Herzeleid die Seele füllte.
Als Siegmund Kriemhilden erblickte, rief er schmerzerfüllt
aus: „O weh der Reise! Wer hat doch hier, wo wir bei guten
Freunden sind, mich meines Sohnes und euch eures Mannes be¬
raubt?" Untröstlich standen der alte Vater und die treue Gattin
an der teuern Leiche, die bald jener, bald diese mit ihren Armen
umschlossen; die Königsburg hallte wieder von den lauten Wehklagen,
und selbst bis in die Stadt verbreiteten sich dieselben.
Nun zog man dem Helden die blutigen Kleider aus, die Wunden
wurden abgewaschen und die Leiche auf eine Bahre gelegt.
Unterdessen waren aus der Stadt viele Bürger und Bürgers¬
frauen herbeigekommen, die alle auch laut des kühnen Siegfrieds
Tod beklagten. Kunstreichen Schmieden aber hatte man aufgetragen,
aus Gold und Silber und mit Stahl wohl beschlagen einen herrlichen
Sarg für den Helden zu bereiten.
Die Nacht war vergangen und der helle Tag angebrochen. Da
hieß Kriemhild den Leichnam nach dem Münster tragen. Unter
dem Geläute der Glocken und unter den Gesängen der Geistlichen
ward die Bahre dahin getragen, und viele Freunde Siegfrieds
folgten ihr nach. Auch der König Günther mit seinen Mannen, ja .
selbst der grimme Hagen kamen zum Münster.
Da sprach Günther zu Kriemhild: „O weh, liebe Schwester,
daß wir so großes Leid erdulden. Immer werden wir den Tod
dieses teuern Helden beklagen müssen." — „Das Klagen steht euch
übel an," entgegnete Kriemhild, „da ihr doch selbst an diesem Tode
schuld seid. Wenn euch Siegfrieds Tod betrübte, so wäre er nicht
geschehen. Als ihr mir meinen lieben Mann durch feigen Mord
für immer entrißt, da hattet ihr vergessen, daß ich eure Schwester
bin. Wollte Gott, ich läge hier an seiner Stelle tot."
Günther aber leugnete, daß er'teil an der Ermordung Sieg¬
frieds habe und sprach: „Von meinen Leuten ist dir solches Leid
nicht zugefügt worden; dessen sei versichert." Kriemhild antwortete:
„So laß die, die sich unschuldig nennen, an die Bahre herantreten,
damit wir die Wahrheit erfahren." Günther befahl es. Kaum
aber hatte sich Hagen der Bahre genähert, so begannen die Wun¬
den des Ermordeten von neuem zu fließen. Da sprach Kriemhild:
4*