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noch zu treuer Pflege empfahl. „Wehe!" sprach der König, als er
ging, „um Kurzweil sind wir hierher geritten, und wie arm an
Freuden kehren wir zurück! Ach, uns soll man wohl nicht wieder
hier bei den Burgunden sehen." Siegfrieds Helden aber erwiderten
unverhohlen auf dieses Wort des alten Königs: „Wir möchten wohl
einen Kriegszug hierher unternehmen!"
In ihrem Trotze mochten die Helden aus Niederland auch
nicht annehmen, daß ihnen die Burgunden das Geleit gäben.
Darum verabschiedeten sie sich auch bei keinem von den Burgunden.
Gernot und Giselher kamen aber selbst zu ihnen. Gernot sprach:
„Gott im Himmel weiß es, daß ich an Siegfrieds Tode, den ich ja
selbst von Herzen beklage, keine Schuld trage." Giselher aber ge¬
leitete mit seinen Recken die Helden Siegfrieds sicher heim nach
Niederland. Eine fröhliche Heimkehr war es, freilich nicht.
Kriemhild, die zu Worms zurückgeblieben war, klagte täglich
ihres Mannes Tod, und nur einer war, der treulich mit ihr klagte
oder sie zu trösten suchte; das war ihr lieber Bruder, der junge
Giselher. Brunhild dagegen war nun, da ihre Rache gelungen,
wieder übermütig und fragte nicht nach Kriemhilds Thränen.
Ach, wie bitter aber sollte sie noch klagen und weinen lernen!
XIX. Neben dem Münster zu Worms hatte man Kriemhild
ein Zimmer angewiesen, das war weit und geräumig und gar
freundlich eingerichtet. Darin saß die Freudenlose mit ihrem Ge¬
sinde. Oft ging sie zur Kirche und an den Ort, wo man ihren
Geliebten bestattet hatte. Dort betete sie brünstig und unter vielen
Thränen für seine Seele. Wohl kam ihre Mutter Ute oft zu ihr,
sie zu trösten; aber kein Trost mochte der Trauernden nützen, sie
mußte immer Leid tragen um ihren lieben Mann.
Vier Jahre hatte sie bereits in solcher Weise vertrauert, und
während derselben hatte sie kein Wort mit Hagen gesprochen, ihn
auch nie gesehen. Da sprach Hagen eines Tages zum König
Günther: „Könntet ihr das erreichen, daß eure Schwester euch
wieder freundlich gesinnt wäre, so könnte leicht der Schatz der Ni¬
belungen in euer Land gebracht werden, und ihr selbst würdet da¬
von nicht geringen Nutzen haben." Dem Könige leuchtete das ein,
und er sprach: „Wir wollen es versuchen. Meine Brüder, die
immer in einem freundlichen Verhältnisse zu Kriemhild gestanden
haben, will ich bitten, daß sie für mich um ihre Freundschaft werben.
Sie werden auch am leichtesten Kriemhildens Erlaubnis erlangen,
den Nibelungenhort ins Land zu holen."
Gernot und der junge Giselher wurden nun zu Kriemhild ge¬
schickt. Der erstere redete sie an: „Gar zu lange, liebe Schwester,
klagt ihr um Siegfrieds Tod, und mit Unrecht zeihet ihr den König