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von Vethmann-Hollweg, dem Kiderlen-Wächter als Staatssekretär des 
Auswärtigen zur Seite trat. Vülow hatte sich durch sein mannhastes 
Auftreten nach innen und außen viele Freunde erworben. Vor allem 
hatte er dem Flottenbau zur Durchführung verholfen und die englischen 
Pläne durchschaut; er stand England daher mißtrauisch gegenüber und 
widerstrebte einem Bündnis mit ihm, das seiner Meinung nach Deutsch¬ 
land nur zum Diener Englands gemacht hätte. Aber während seiner 
Amtszeit wurde Deutschlands Stellung doch sehr geschwächt. 1900 war 
nur das russisch-französische Bündnis vorhanden; als er 1909 ausschied, 
war Deutschland fast ganz eingekreist und Italien dem Dreibund inner¬ 
lich entfremdet. In entscheidenden Augenblicken, wie z. B. 1900, im 
Burenkrieg und 1905 und 1906 in dem ersten Marokko-Abkommen, konnte 
er den höchsten Entschluß, in günstiger Lage für Deutschlands Interessen 
einzutreten und das Netzwerk der Feinde zu zerhauen, nicht fasten. Auch 
andere denkbare Wege, der drohenden Einkreisung entgegenzuwirken — 
etwa durch ein Bündnis mit Japan —, betrat er leider nicht. Mehr¬ 
mals nutzte er die ungewöhnliche Gunst der Weltlage nicht genügend 
aus, um daraus für uns Vorteile zu ziehen; den Großmächten, besonders 
Italien gegenüber, hatte er viel zu viel Vertrauen. Aber seine Politik 
entsprach — das muß zu seiner Entschuldigung gesagt werden — den 
Ansichten von mindestens 90 Prozent des deutschen Volkes, das im tief¬ 
sten Herzen dankbar war, daß der Friede erhalten blieb, und das nicht 
bedachte, daß dann dereinst um so furchtbarere Vlutarbeit zum mindesten 
wahrscheinlich wurde. 
Sein Nachfolger von Beth mann- Hollweg brachte der eng¬ 
lischen Regierung Vertrauen entgegen, weil er hoffte, die schwere Lage 
Deutschlands, die ihm als Vülowsche Erbschaft zugefallen war, durch eine 
Verständigung mit England entscheidend bessern zu können. Da er sich 
sagte, daß Frankreich und Rußland nicht zu gewinnen seien, versuchte er 
es mit England, um den drohenden Weltkrieg zu verbäten. Änter Vülow 
wurde der Hauptwert auf die Politik der offenen Türe gelegt; dadurch 
wurden unsere Unternehmer besonders auf fremde Gebiete verwiesen, 
und wir wurden vom Ausland immer abhängiger. Unsere Rohstoffe 
für die Industrie und die Ölfrüchte für die Landwirtschaft bezogen wir 
von fremden Staaten. Je mehr wir aber dort Handel trieben, um so 
mehr wuchs der Handelsneid der andern, um so leichter kam es zu Reibe¬ 
reien und Zusammenstößen mit ihnen. Vethmann-Hollweg versuchte 
daher, ein großes mittelafrikanisches Kolonialreich auf dem Wege der 
Verständigung zu schassen, wo wir selbst die Rohstoffe ziehen und die 
Waren absehen konnten. Vülow wollte der Sperrung der offenen Türe 
durch den Vau einer großen Flotte vorbeugen, Vethmann-Hollweg wollte 
Deutschlands Macht auf die Dauer weder auf das Wohlwollen an¬ 
derer noch auf die Furcht vor Deutschland gründen, sondern nur auf 
eigene Arbeit. Sein leitender Grundsatz war es daher bis zum Kriegs¬ 
ausbruch, die deutsch-englische Spannung zu mildern; daneben wurde 
tunlichste Annäherung an Rußland ins Auge gefaßt und Amerika mit 
größter Rücksichtnahme behandelt, um den Zusammenschluß der ángel-
	        
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