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Initiative (S. 33) und der Überweisung an ihn gerichteter Petitionen
an Bundesrat und Kanzler zu.
Der Reichstag wird durch besondere strafrechtliche Normen
geschützt (StGB. §§ 105, 106) (S. 117); so bestehen Strafbestimmungen
gegen seine Sprengung, gegen die Nötigung zur Fassung von Be¬
schlüssen, gegen die Verhinderung der xlbgeordneten an der Ausübung
ihres Amtes.
Die Wahl zum Reichstag erfolgt für fünf Jahre mittels
allgemeiner, direkter Wahlen mit geheimer Stimmabgabe. Diese fünf
Jahre nennt man Legislaturperiode. Davon zu unterscheiden
sind die einzelnen Sitzungstage und die Sitzungsperioden
oder Sessionen, d. h. die Zeiträume, während welcher der Reichs¬
tag, wenn auch durch Ferien und Vertagungen unterbrochen, ver¬
sammelt ist. Jeder männliche Deutsche ist ohne Unterschied des Be¬
sitzes, der Steuersumme, des Berufes, der sozialen Stellung, oder der
Bildung wahlberechtigt; er muß aber das 25. Lebensjahr zurück¬
gelegt haben Das Wahlrecht steht jedoch solchen Personen nicht zu,
welche unter Vormundschaft oder Pflegeschaft stehen oder sich im
Konkurs befinden, oder nicht im Besitze der bürgerlichen Ehren¬
rechte sind. Das gleiche gilt von Personen, die nicht bloß zur
Hebung einer außerordentlichen Notlage Armenunterstützung beziehen
oder, ohne daß diese zurückerstattet ist, im letzten Jahre vor der Wahl
bezogen haben. Für aktive Militärpersonen ruht das Wahlrecht;
sie sind aber wählbar. Bei der Wahl hat jeder nur eine Stimme ab¬
zugeben. Die Abgeordneten werden direkt von den Wählern gewählt.
Die Wählbarkeit (passives Wahlrecht) unterliegt den¬
selben Bedingungen wie die Wahlberechtigung. Der zu wählende
muß aber mindestens ein Jahr einem Bundesstaate oder Schutzgebiet
angehört haben.
Jeder Abgeordnete wird in einem sogenannten Wahlkreise
gewählt. Nach dem noch heute gültigen Wahlgesetz für den nord¬
deutschen Bund werden auf durchschnittlich 100000 Seelen der
Bevölkerungszahl, wie sie den Wahlen zum ersten nord¬
deutschen Reichstage (S. 7) zugrunde lagen, ein Abgeordneter
gewählt. Auf jeden Bundesstaat kommt aber mindestens ein Abgeord¬
neter. Ein besonderes Reichsgesetz soll nun zwar die Abgrenzung
der Wahlkreise noch bestimmen, ist aber bis jetzt noch nicht erlassen
worden, so daß die bisherige Wahlkreiseinteilung besonders dem An¬
wachsen der städtischen Bevölkerung heute nicht mehr Rechnung
trägt. Berlin wählt daher immer noch wie im Jahre 1867 6 Abgeord¬
nete, obwohl es bereits über II/2 Millionen Einwohner hat. Die
Wahlkreise werden in Wahlbezirke geteilt, die meist mit den
Gemeinden zusammenfallen.