Beschaffenheit der Dörfer beim Beginn des Dreißigjährigen Krieges. 259
An den Abhängen von warmer Lage aber waren in Thü—
ringen und Franken damals überall Rebengärten angelegt,
und dieser alte Weinbau, welcher jetzt in denselben Landschaften
fast untergegangen ist, muß in günstigen Jahren doch einen trink⸗
baren Wein hervorgebracht haben; denn es werden in den alten
Geschichtsbüchern einige Weinjahre als vortrefflich gerühmt. Auch
Hopfen wurde fleißig gebaut und zu gutem Biere benutzt. Schon
säte man von Futtergewächsen den Spergel und die Pferdebohne.
Die Wiesen, hochgeschätzt, häufig eingezäãunt, wurden sorgfältiger
behandelt als 200 Jahre später; die Maulwurfshaufen zu zerwerfen
und die Abzugsgräben, ja sogar Bewässerungsgräben zu ziehen
und zu erhalten, war gewöhnlich. Schon war Erfurt Mittelpunkt
ines bedentenden Handels mit Blumen, Blumensamen und feinen
Obstsorten. Im ganzen war, wenn man verschiedene Zeiten mit⸗
cinander vergleichen darf, die landwirtschaftliche Kultur im Jahre
1618 nicht geringer als etwa 1818.
2. Die Lasten, welche auf dem Bauernstande lagen, Dienst⸗
leistungen und Abgaben waren nicht gering, am größten auf den
adligen Gütern; aber es gab auch nicht wenige freie Bauerndörfer
m dande. Viele geistliche Güter waren zerschlagen worden, viele
fürstliche und nicht wenige adlige Güter wurden von Pächtern
bewirtschaftet. Das alles kam dem Bauer zugute. Freilich der
Wildschaden war ein drückendes Leiden, und auf den Gütern des
derarmenden Adels war von der alten Hörigkeit noch viel übrig ge—
blieben. Die Gemeinderechnungen wurden seit fast hundert Jahren
ordentlich geführt und von den Landesregierungen beaufsichtigt;
auch auf Ortszeugnisse und Heimatsscheine ward schon gehalten,
Und die Gemeinden empfahlen einander nachbarlich in gewählten
Ausdrücken ihre Angehörigen, welche aus einem Dorfe nach dem
andern zogen. Auch der Handelsverkehr war nicht gering. Durch
Thüringen führte fast gleichlaufend mit den Bergen eine große
Haͤndelsstraße von der Elbe zum Rhein und Main, und am Afall
des Gebirges gegen die Werra lag der große Heerpfad, welcher den
Norden Deutschlands mit dem Suüden verband. Der Frachtverkehr
auf den kunstlosen Straßen erforderte Vorspann und brachte den
Doörfern Verdienst und Kunde aus der fernen Welt, auch manche
Gelegenheit, Geld auszugeben.
3. Wenigstens in allen Kirchdörfern gab es Schulen; die Lehrer
waren oft geistlichen Standes; auch Lehrerinnen für die Mädchen
fanden sich zuweilen. Es wurde ein kleines Schulgeld gezahlt, und
ein Teil der Dorfbewohner war in die Geheimnisse des Lesens
und Schreibens eingeweiht. Der Gegensatz zwischen dem Land—
Nanne und dem Städter war zwar damals größer als jetzt. Aber
wie abgeschlossen und arm an wechselnden Eindrücken das Leben
des Bauern auch damals war, man würde sehr unrecht tun, wenn
man ihn für wesentlich schwächer und untüchtiger hielte, als er
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