Full text: Von deutscher Art und Arbeit (1)

Unechtes Material. Regeneration des Runstgewerbes. 149 
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möglichen und nach Kräften noch zu beschleunigen, als daß es auch 
nur auf den Gedanken einer Reform gekommen wäre. Diesen Gedanken 
zu fassen war einem andern Volke als dem der „Dichter und Denker“ 
beschieden, und zwar merkwürdigerweise England. Das praktische, 
nüchterne England empfand schon um die Mitte des 19. Jahrhunderts 
die Flachheit und Schalheit des kunstindustriellen Treibens. 3wei Män— 
ner, Ruskin und Morris, wiesen auf die Natur hin, Ruskin in 
begeisterten Schriften, Morris in seiner handwerklichen Künstlertätig— 
keit, indem er (um 1860) die Pflanzenform in neuen, farben- und 
linienfrohen Ornamenten sich auswachsen ließ. Die findige Industrie 
bemächtigte sich aber auch der neuen Ornamente, brachte sie wiederum, 
wie ehedem die historischen, an allen möglichen und unmöglichen Ge— 
räten und Möbeln an und pries sie nun in Reklamen und Annoncen 
als das Neueste, das Aller neueste! Da lachten die Akademiker und 
historiker, und der Fortschrittler, der ernst überlegte und betrachtete, 
kam wiederum in Zweifel über die Errungenschaft, die als „Jugend— 
stil“ an dem hausgerät herumkroch. 
Aber mit der Rückkehr zur Natur war man zugleich auch dem eigent— 
lichen Handwerk wieder nahe gekommen und hatte gelernt, daß die 
eigentliche „Schönheit“ eines Dinges, einer Natur- oder Kunstform, gar 
nicht in dem „Schmucke“ liege (der gewiß hinzukommen könne, um das 
Gefallen an ihm zu steigern), sondern vielmehr in seiner Zweckmäßig— 
keit und in seiner Echtheit, kurz in der aus seinem Wesen heraus— 
wachsenden Form. Damit war ein Doppeltes gewonnen: einmal be— 
gann der Kunstindustrie doch ein Licht aufzugehen, daß sie auf fal— 
schem Wege sei, und andererseits erkannte der Künstler, daß auch in 
den modernen Dingen etwas „Schönes“ stecken könne. Dazu halfen auch, 
zunächst auf ganz anderem Gebiete, Künstler wie Meunier in Belgien, 
der die Arbeiter in den Bergwerken, in den hüttenwerken bei ihrer 
Arbeit aufsuchte, wie Menzel bei uns, der in seinem „Eisenwalzwerk“ 
das Großartige der modernen Arbeit darstellte, wie Uhde, der in die 
Arbeiterhäuser und Arbeiterseelen hineinführte. Durch all das wurde 
erreicht, daß wir am Ende des 19. Jahrhunderts auch die „Schönheit“ 
einer Schnellzugslokomotive zu empfinden vermögen, während es um 
1850 vorgekommen war, daß den Radspeichen der Dampfmaschine, um 
sie künstlerisch zu heiligen, gotische Formen gegeben, daß die Pleuel— 
stange als ionische Säule ausgebildet wurde!
	        
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