374 9. Staatsbürgerliche Bestrebungen.
bewirken Nachahmung, gleich guten Beispielen und oft noch stärker. Fast
überall herrscht noch der naive Glaube, um nicht zu sagen der Aber—
glaube, an jedes gedruckte Wort: was in der Zeitung steht, wird ge⸗—
meinhin viel zu gedankenlos als wahr angenommen; so werden leicht
falsche und gehässige Mitteilungen verbreitet und geglaubt, so werden
manchmal auf Grund irriger Voraussetzungen Leidenschaften ange—
stachelt. In den Ländern mit Straßenverkauf der Zeitungen steigt der
Absatz mit dem sensationellen Inhalte: die Mordgeschichte und der
Schauerroman treten in den Vordergrund, und nicht selten werden (wie
durch die „Gelbe Presse“ in England und Amerika) die nationalen Leiden—
schaften bis zur Gefährdung des Weltfriedens aufgestachelt. Nicht von
höheren Absichten bestimmt, sondern nur vom eigenen materiellen Vor—
teil geleitet, mögen manche dieser hetzblätter in der herbeiführung
kriegerischer Verwicklungen nur ein Mittel sehen zur hebung ihres
Absatzes und zur Förderung ihrer Kapitalinteressen. Einen bedenklichen
Auswuchs bildet auch jene sogenannte Finanzpresse, die unter dem
Deckmantel unbefangener Kritik gewissenlos nur den Interessen speku—
lativer Kapitalistenkreise dient. Zu beklagen ist endlich, daß mehr und
mehr weite Kreise sich daran gewöhnen, ihre geistige Nahrung aus—
schließlich aus der Zeitschrift oder Zeitung zu ziehen, und daß dadurch
die Pflege gediegener Buchliteratur leidet. Goethe schon warnt: „Es
ist unglaublich, was die Deutschen sich durch das Journal- und Tage—
blattverzetteln für Schaden tun: denn das Gute, was dadurch ge—
fördert wird, muß gleich vom Mittelmäßigen und Schlechten verschlungen
werden. Das edelste Ganggestein, das, wenn es vom Gebirge sich ablöst,
gleich in Bächen und Flüssen fortgeschwemmt wird, muß wie das
schlechteste abgerundet und zuletzt unter Sand und Schutt vergraben
werden“. Und doch war der Umfang des Zeitungswesens zur Zeit
Goethes verschwindend gegenüber dem heutigen!
Trotz alledem sind die Vorzüge und Leistungen der modernen Presse so
bedeutungsvoll, daß die Mängel dagegen in den hintergrund treten.
Die Folgen jeder Unterdrückung der Presse in unfreien Ländern be—
weisen, wie sehr das öffentliche Leben und das öffentliche Gewissen unter
der Einschränkung der freien Preßbewegung notleiden. Die Schäden und
Gefahren können überwunden werden, wenn die an der Leitung der
maßgebenden Presse beteiligten Kreise mehr und mehr den entscheiden—
den Wert auf Bildung, Achtbarkeit und Unantastbarkeit ihrer Mit—