auch noch Christ bleibt. Und die von der Zentrumspartei meinen 
doch, daß die eigentlich wirklichen Christen nur die Katho- 
lifen sind, daß aber keiner im deutschen Reich etwas zu sagen 
haben sollte, der nicht Christ ist. Aber bei den Wahlen da ändert 
sich sowas mitunter ein bißchen. Und schließlich ist es auch gar 
nicht zu verwundern, wenn viele Zentrumslvähler gesagt haben: 
„Wir stimmen gegen die Regierung, und die Sozialdemokraten 
stimmen auch gegen die Regierung, also ist es praktischer, wir 
wählen einen Sozialdemokraten als einen, der für die Re¬ 
gierung ist." Uebrigens haben an mehreren Orten auch Leute 
von andern Parteien für die Sozialdemokraten gestimmt. Das 
kann man ja ungefähr ausrechnen, wenn man nachsieht, wieviel 
Leute bei der ersten Wahl für Sozialdemokraten und für die 
andern Parteien gestimmt haben. Trotz alledem haben aber die 
Sozialdemokraten nur in vierzehn Stichwahlen gesiegt. Und da 
sie vorher schon 29 Abgeordnete in den Hauptwahlen bekommen 
hatten, so haben sie im neuen Reichstag im ganzen -13 Abgeordnete. 
Da sie 1903 mehr als 80 Abgeordnete hatten, so haben sie dies¬ 
mal nur wenig mehr als die Hälfte gekriegt. 
Das war also der 5. Februar, an dem die Stichwahlen waren. 
Da war ich denn spät abends noch in Berlin, um zu sehen, wie 
alles ablief, und besonders auch, was die Berliner, die zu der Zeit 
noch auf den Straßen waren, dazu sagen würden. Da stand dann 
wieder in der Zimmerstraße vor dem Haus, wo der „Tag" und 
der „Lokal-Anzeiger" gedruckt wird, eine große Menge von Men¬ 
schen, so viele, daß man nur mit Mühe hätte durchkommen können. 
Ich konnte daher die Stelle, wo man die Depeschen sehen konnte, 
nur von weitem und gar nicht ordentlich sehen, jedenfalls machte 
es mir immer Mühe, die Depeschen zu lesen. Da war eine große 
weiße Tafel, und da sah man jede neue Depesche drauf, aber wenn 
man die eine kaum gelesen hatte, da rutschte sie wieder beiseite, 
und es kam eine neue Depesche. Und bei fast jeder neuen De¬ 
pesche wurde „BravoI" und „Hurra!" gerufen, nur wenn ein¬ 
mal einer vom Zentrum oder von den Sozialdemokraten gewählt 
war, dann wurde gepfiffen und geheult. Denn wenn eine große 
Menge von Menschen zusammen sind, dann benehnien sie sich 
immer ein bißchen anders, als wie sie sich in Gesellschaft be¬ 
nehmen. Denn sonst ist es in Gesellschaft nicht gerade 
üblich, zu pfeifen und zu heulen, wenn nian etwas hört, 
was einem nicht angenehm ist. Aber wie gesagt, wenn 
viele Menschen zusammen sind, einerlei ob auf der Straße 
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