Unterricht in politischer Bildung. 
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Ze mehr neuerdings auch bei uns der Ruf nach Bürgerkunde 
laut geworden ist, um so mehr sind die Schwierigkeiten solchen 
Unterrichts hervorgetreten. Namentlich ist die Gefahr nicht zu 
verkennen, es möchte der Unterricht allzuleicht im Sinne herrschen¬ 
der Parteien ausgenützt oder vielmehr gemißbraucht werden, 
und diese Gefahr erscheint besonders zu fürchten, da sich heutigen¬ 
tags die Parteien aufs schroffste gegenüberstehen, und es Parteien 
gibt, die das bestehende Staats- und Gesellschaftssystem über¬ 
haupt und grundsätzlich negieren. Gewiß besteht ein großer Teil 
der Bürgerkunde nur aus ganz neutralem Tatsachenmaterial, 
das von Parteitendenzen nicht berührt wird; ein anderer Teil, 
wie die Verfassungsbestimmungen und -Verhältnisse, kann bei 
einigermaßen gutem Willen ohne tendenziöse Seitenblicke über¬ 
mittelt werden. Aber das wichtigste und Nötigste, Einsicht in 
das allgemeine Beste, Urteil über die Staatsverhältnisse, die 
Richtungen im politischen Leben, das scheint doch nur von einem 
bestimmten Standpunkte aus behandelt werden zu können. 
Denn der Lehrer muß sich doch eine politische Überzeugung ge¬ 
bildet haben, ja er soll das als intelligenter, charaktervoller Mensch 
und Bürger sogar, und man kann nicht verlangen, daß er sich der¬ 
selben entäußere, wenn er unterrichtet. Nun, das ist auch nicht 
erforderlich, wir haben dasselbe Dilemma beim Geschichts¬ 
unterricht und wir verzichten doch darum nicht auf diesen Unter¬ 
richt, verzichten neuerdings auch nicht darauf, wie früher aus 
solchen Rücksichten zum Teil geschehen ist, selbst die neueste Zeit 
in das Schulpensum einzubeziehen, was dort möglich ist, kann 
auch hier verlangt werden. Der Lehrer braucht seine politische 
Überzeugung nicht zu verleugnen, aber er darf sie nicht auf¬ 
drängen wollen, er muß sich über die Parteien zu stellen wissen 
und weder verdammen noch verherrlichen wollen, sondern die 
Ziele und Grundsätze der Parteien unentstellt darlegen*). Nicht 
die Verfolgung einer Tendenz, die man für noch so patriotisch 
halten mag, darf vor allem von Regierungswegen dem Lehrer 
vorgeschrieben werden. Denn abgesehen von dem Gewissens¬ 
zwange, der darin liegt, wirkt das hervorkehren einer Tendenz 
vielfach gerade im entgegengesetzten Sinne, namentlich bei 
x) Das ist um so tunlicher, als neuerdings die Entwicklung und das 
Wesen der Parteien streng wissenschaftlich erforscht wird, vgl. die Zeit¬ 
schrift „Die Parteien", Beihefte zur Zeitschrift für Politik, herausgeg. von 
£. Bergsträßer und 21. Blaustein.
	        
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