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Der weite, wohlgebaute Acker ringsumher ließ mich sogar aus Wohlstand und
Behäbigkeit des Eigentümers schließen. Das aus Fachwänden von schwerem
Holze errichtete Gebäude war mit seiner Giebelseite dem schmalen Fahrwege
zugekehrt, der zum nächsten Dörfchen führt. Es war zwei Stock hoch, und
das große Einfahrtsthor in der Mitte stand halb geöffnet; eine große Menge
Hühner und anderes Federvieh wanderte eben lustig ein und aus. Links neben
der Thür befanden sich drei große Fenster mit blanken Scheiben und grün
angestrichenen Läden, augenscheinlich zur Wohnstube gehörig; denn vor jedem
standen einige blühende Topfgewächse. Über denselben erblickte man eben so
viele Fenster, aber viel niedriger und mit kleineren Scheiben. Rechts vom
^-hore dagegen war eine andere schmale Thür mit eisernem Schieber und
starkem Beschläge, wahrscheinlich zu einer Stallung führend. Über ihr befand
sich eine sensterähnliche Öffnung, welche mit einer braun angestrichenen Klappe
dicht verschlossen war. Der schwere, aus einem einzigen Stücke bestehende
Balken, der das Unterhaus vom Giebel trennte, war in zierlichen, runden
Halbkugeln ausgeschnitzt. Auch das gewöhnliche Einsahrtsthor zeigte ähnliche
Berzierungen mit einer langen, kaum lesbaren Inschrift. Der hohe Giebel selbst
war mit starken Brettern ausgeschlagen und hatte in der Mitte eine kleine
Dffnnng, worin der Erntehahn vom vorigen Jahr befestigt war. Einige freche
Spatzen hatten kühn in demselben ihr Nestchen angebracht und zirpten gar lustig
Und vornehm herunter. Die Südseite des Hauses, woran ein wohlbestellter
Gemüsegarten lag, zeigte eine Menge Fenster, worin sich die helle Mittags¬
sonne blitzend wiederspiegelte. Ein großer Erntewagen und andere Gerätschaften
standen aus der Schlagseite unter einer Gruppe gewaltiger Nußbäume, welche
chre schattigen Äste schützend darüber ausbreiteten. Im Hintergründe erhob sich
vor einem reich • besetzten Obstgarten noch ein kleines, stallähnliches Gebäude,
dessen niedriges Strohdach mit dunklem Moose durchwachsen war. Das Ganze
sah trotz der großen Stille und Einsamkeit recht heimlich und einladend aus,
und die schlichten Bewohner, welche ich um einen Trunk Wasser ansprach,
waren sehr freundlich und Zuvorkommend.
134. Der Abend. +
Christ. Kasp. sorttt} Hirschscld.
Die feurige Glut der Sonne sinkt im Westen; von ihr empfängt das ganze
Sommerhaus eine feierliche Übergoldung; und indem sie ihre letzten Strahlen
an die Berge hinstreut, ein blitzendes Licht durch die gebrochenen Wolken wirst,
die Spitze des Waldes vergoldet und sich in einer wallenden Rosenfarbe auf
st der Flur malt, so verlöscht sie allmählich am Himmel und verläßt ihn, von
stner sanften Röte umflossen. Und hier, welche prachtvolle Szene, die andere
'-ander nicht kennen, bildet noch dein Abendlicht, geliebte Schweiz! Deine in
chwr unabsehbaren Strecke fortlaufende« Alpen, die den hohen Himmel zu
stützen scheinen, welche unnachahmlichen Malereien der Natur empfangen sie
deim Abschied der Sonne! Weit umher schimmern zuerst die Spitzen, tausend-
iahriger Schnee kleidet sich in die heiterste Gestalt, und ewiges Eis blitzt vom
Golde. Bald darauf taucht die Natur ihren Pinsel in die höchste Purpurfarbe
wid ummalt einige Minuten lang die obersten Gipfel; alle ihre stärker erleuch-