569
Ihren Schatten halte fest!
4. Heiter senke, was vergangen,
In den Abgrund jeder Nacht!
Soll der Tag dich frisch empfangen,
Sei getreu, doch neu erwacht!
222.
1. Dulde, gedulde dich fein!
Über ein Stündlein
Ist deine Kammer voll Sonne.
2. Über den First, wo die Glocken
hangen,
Ist schon lange ihr Schein ge¬
gangen.
Ging in Türmers Fenster ein.
Wer am nächsten dem Sturm der
Glocken,
Einsam wohnt er, oft erschrocken;
Doch am frühesten tröstet ihn Son¬
nenschein.
5. Frei dich wandelnd und ent¬
faltend,
Wie die Liebe wächst im Feld,
Wachse fort, und nie veraltend
Blüht und klingt für dich die Welt.
Geibel.
Geduld.
3. Wer in tiefen Gassen gebaut,
Hütt' an Hüttlein lehnt sich traut;
Glocken haben ihn nie erschüttert,
Über ihm ist's, wenn's gewittert;
Aber spät sein Morgen graut.
4. Höh' und Tiefe hat Glück und
Leid.
Du sag' ab dem thörichten Neid!
Andrer Gram bringt andre Wonne.
5. Dulde, gedulde dich sein!
Über ein Stündlein
Ist deine Kammer voll Wonne.
P. Heyse.
223. Fester Halt.
1. Mit zarter Wurzel drang der Baum
Allmählich in den Grund hinein:
Wie ihrem Wuchs gebrach der Raum,
Zersprengte sie das Felsgestein.
2. Nun hält sie fest den freien Stamm,
Er steht in Fluten und Orkan,
Trägt rnhigstark den Blütenkamm
Und hebt die Früchte himmelan,
3. So schlage Wurzeln dein Gefühl
Langsam im harten Lebensgrnnd!
Dann wankt es nicht im Weltgewühl
Und wiegt sich frei im Himmelsrund. Bube.
224. Mutterliebe.
1. So weich und warm
Hegt dich kein Arm,
Wie sich's in Mntterarmen ruht.
Kein beßres Heil
Wird dir zuteil,
Als wenn du stehst in Mntterhnt.
2. Und kehrt ergreift
Dem müden Geist
'Noch manch ein Jugendbild zurück,
Es grüßt dich keins
So milden Scheins,
Wie deiner Mutter Liebesblick.
3. O, führt dich nicht
Dies liebe Licht
Ins dunkle Leben treulich ein,
Ob auch die Welt
Sich dir gesellt,
Bist dennoch mutterseelallein.
P- Heyse.