Nibelungenlied: Wie Günther Lrunhild gewann. 1 75
17. Nun war Brunhild gekommen; gewaffnet man sie fand,
Als ob sie streiten wolle nur aller Könige Land.
Sie trug ob ihrer Seide von Stahl gar feste Spangen,
Darunter sah man wonnig ihres Leibes Schönheit prangen.
18. Nun ward Brunhildens Stärke erst gänzlich offenbar,
Denn einen schweren Marmel*) bracht' in den Ring man dar.
Der war so ungefüge, so groß und schwer und rund,
Daß ihn zwölf kühne Helden mit Mühe trugen zu der Stund.'
19. Den warf zu jeder Zeit sie, wann sie den Speer verschoß.
Da ward für die Burgunden die Sorge erst recht groß.
„O wehe!" sprach da Hagen, „lvem ist der König traut?
Die wäre in der Hölle des bösen Teufels beste Braut!"
20. An ihren weißen Armen wand sie die Ärmel auf,
Und fest den Schild sie faßte in ihrer Hand darauf
Und zückte hoch den Wurfspeer: da ging es an den Streit;
Günther und Siegfried beide erbangten vor Brunhildens Neid. **)
21. Wär' ihm der starke Siegfried zu Hülfe nicht gekommen,
So hätte sie dem König sein Leben dort benommen.
Er ging zu ihm ganz heimlich und rührt' ihn an die Hand,
Doch Günther seine Künste mit großer Sorge nur empfand.
22. „Was hat mich angerühret?" so denkt der kühne Held,
Schaut um sich allenthalben, doch leer ist rings das Feld.
»Ich bin es!" flüstert jener, „der treue Helfer dein,
Du sollst ganz ohne Sorge vor dieser Königstochter sein.
23. Den Schild aus deiner Hand gib und lasse ruich ihn tragen,
Und merk' auf meine Lehre, die du mich hörest sagen:
Du habe die Gebärde, das Werk will ich bestehn!"
Als er das Wort vernommen, da war es ihm zum Trost geschehn.
24. Da schoß mit großen Kräften und starkem Arm die Maid
Den Ger nach einem Schilde, der war gewaltig breit,
Den trug an seiner Hand wohl das Siegelinden-Kind:
Das Feuer stob vom Stahle, als wehte es ein starker Wind.
25. Des starken Geres Schneide so durch den Schildraud drang.
Man sah, wie Feuerlohe hell aus den Ringen sprang.
' Es strauchelten vom Schusse die Helden auserkoren;
Sie hatte so betäubt sie, sie waren beide fast verloren.
*) Marinorblock.
**) in alter Bedeutung: Hag, Feiudschart.
