Full text: Die Praxis des zweiten Schuljahres in katholischen Volksschulen

Unterrichtsbeßpicle. 
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22. Rotkäppchen. 
1. Es war einmal ein Kind, das hieß Rotkäppchen und war sehr- 
schön. Es hatte eine alte Großmutter, die wohnte in einem großen 
Walde. Die war sehr gut und hatte dem Kinde das rote Käppchen 
und noch vieles andere geschenkt. Die Mutter hatte einmal Kuchen 
gebacken und sagte: „Rotkäppchen, trage der Großmutter von diesem 
schönen Kuchen hin; nimm ihr auch diesen Tops voll Suppe mit, 
daß sie sich daran labe; nimm dich aber unterwegs in acht, daß du 
nicht etwa hinfällst und den Krug zerbrichst, und bleib immer auf 
dem Wege, daß du nicht irre gehst." 
2. Rotkäppchen ging fort. Im Walde begegnete ihm ein Wolf; es 
fürchtete sich aber nicht vor ihm. 
Der Wolf sprach: „Guten Morgen, Rotkäppchen! Wohin willst du 
schon so früh?" 
Rotkäppchen antwortete: „Ich will zur lieben Großmutter; Mutter 
hat Kuchen gebacken, den will ich ihr bringen, und auch etwas Suppe 
dazu, daß sie sich stärken kann." 
Der Wolf fragte wieder: „Wo wobnt denn deine Großmutter?" 
Und Rotkäppchen sagte: „Hinten im Walde, wo die große Eiche steht 
und der Hollunderbaum an der Hütte." 
„Du könntest ihr wohl auch ein Sträußchen mitbringen," sprach 
der Wolf. 
Rotkäppchen sah die schönen Blumen im Wald und dachte: Das wäre 
wohl gut. Es pflückte rote Blumen und weiße und blaue, die dufteten 
sehr schön, und machte einen Strauß; dabei kam es aber vom Weg 
ab, und es währte lange, bis es wieder auf den rechten Weg kam. 
3. In der Zeit war der Wolf zur Hütte gelaufen und klopfte an 
die Türe. „Wer ist draußen?" rief die Großmutter. „Ich bin es ja, 
Rotkäppchen," sagte der Wolf, „ich bringe dir Kuchen und Suppe; 
mache doch die Türe auf!" 
Die Großmutter sagte: „Ich kann ja nicht vom Bett aufstehen, ich 
bin krank; drücke nur die Klinke, dann geht die Tür auf." Der Wolf 
tat das, ging in die Stube und verschluckte die Großmutter; dann 
zog er ihre Kleider an, setzte sich ihre Haube auf, legte sich in das 
Bett und deckte sich zu. 
4. Nun kam Rotkäppchen auch. Es trat in die Stube; aber es 
wurde ihm ganz ängstlich; es ging zum Bett; aber die Großmutter 
sah ganz anders aus als sonst. „Ach, Großmutter," sagte das Kind, 
„wie siehst du doch so seltsam aus; du hast so große Ohren!" „Daß 
ich dich besser hören kann!" „Du hast ja so große Augen!" „Daß 
ich dich bester sehen kann!" „Großmutter, was für große Hände hast 
du!" „Daß ich dich besser anfassen kann!" „Aber, Großmutter, was 
für ein entsetzlich großes Maul hast du!" „Daß ich dich besser fressen 
kann!" Und dabei sprang der Wolf aus dem Bette, verschlang Rot¬ 
käppchen und legte sich wieder in das Bett. Er hatte aber zu viel 
gefressen, schlief bald ein und schnarchte sehr.
	        
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